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AKTIVITÄTEN
Die Erforschung der Zeichnung stand im Zentrum unse-
r er diesjährigen Aktivitäten. Die Ergebnisse flossen in die
Texte der Begleitpublikation zur Ausstellung der hundert
Meisterzeichnungen ein. Zunächst wird über einige Neu-
erwerbungen berichtet, danach folgt ein kurzer Überblick
zu den Ausstellungsvorbereitungen mit Werken aus den
eigen en Beständen. Von dem in Wien arbeitenden Zürcher
Küns tler Peter Wechsler (*1951) konnten wir aus seiner
neusten Produktion sechs Pinselzeichnungen aus den
Jahren 2013 bis 2014 auswählen. Die Erwerbung wurde
durch eine grosszügige Schenkung von 80 Skizzen und
Vorarbeiten abgerundet. Seit der 2008 erworbenen gross-
formatigen Bleistiftzeichnung «WVZ Nr. XVIII» von 2004
und den vier Kaltnadelradierungen aus den 1970er-Jah-
r en wird der kü nstler ische Wer degang dieses bemerkens-
werte n zeitgenössischen Zeichners in unserer Sammlung
im kleinen wie im grossen Format nachvollziehbar. Im
Bereich der Klassischen Moderne und der Kunst um 1900
gel angten zwei Meisterblätter in die Grafische Sammlung.
Von Albe rto Giacometti (1901 – 1966) konnte die Bleistift-
zeichnung «Clara Ganzoni» von 1930 erworben werden.
Sie zeigt die Cousine des Künstlers als Brustbild im Drei-
viertelprofil in kubisierender Formensprache, einem
Verfahr en, das Giacometti bereits in den frühen 1920er-
J ahren, insbesondere an den Aktstudien und Selbstbild-
nissen, entwickelt hatte und das er nach 1930 zugunsten
eines wiederaufgenommenen Studiums nach dem Model l
aufgab. Aufregend war die Erwerbung der lange Zeit als
verschollen geltenden Rötelzeichnung von Giovanni Se-
gantini (1858 –1899). Das 1892 datierte und bildha ft aus-
gefü hrte Blatt «Il f rutto dell’amore» (Die Frucht der Liebe )
ist die erste von drei bekannten Repliken nach dem
gleichnamigen Gemäl de im Museum der bildenden Küns-
te in Leipzig (s. S. 20 ff.). Endlich ist es uns gelungen, von
einem Kunsthändler aus Oslo einen 1. Zustand der Litho-
GRAFISCHE SAMMLUNG
grafie «Dr. Wilhelm Wartmann» von Edvard Munch
(1863 –1944) zu erwerben und damit eine Lücke zu
sch li essen, die seit der legendären Munch-Ausstellung im
Kunsthaus Züri ch 1922 bestand. Munch porträtierte den
ersten Kunsthaus-Direktor anlässlich seiner Vorbereitun-
gen zu dieser Ausstellung. Aus dem Nachlass Karl Itsch-
ner (1868 –1953) wurden der Grafischen Sammlung auf
Anregung des Direktors des Kunstmuseums Solothurn,
Christoph Vögele, fünf vom Konservator ausgewählte
Kohlezeichnungen aus Itschners Aufenthalten in Paris
1895 und 1897 überlassen. Einflüsse von Puvis de Cha-
van nes und Monet verbinden sich in diesen ma lerisch auf-
gefassten «Nocturnes» zu bedrückenden Visionen der
Grossstadt, die entfernt an Munchs frühe Radierungen,
etwa die Kaltnadelradierung «Mondschein. Nacht in
Saint-Cloud» von 1895, erinnern und in einem seltsamen
Kontrast zu Itschners späteren, dem Münchner Jugendstil
verpflichteten Zeichnungen stehen.
Die arkadische Ideallandschaft, ein Schwerpunkt in der
Grafischen Sammlung seit der Dauerleihgabe von Salo-
mon Gessners «Gemälde-Kabinett» im Jahr 1818, wurde
um ein kapitales Werk des Dessauer Zeichners und Ste-
chers Carl Wilhelm Kolbe (1759 –1835) verstärkt. Dieser
verbrachte die Jahre von 1805 bis1808 in Zürich, um Gess-
ners Gouachen in Radierungen zu übertragen. Sein «Me-
lancholisches Mädchen in Kräuterlaube» gehört zu den
Spätwerken des Meisters, in welchen er die Bildfläche mit
einem urwaldähnlichen Gewimme l aus Pflanzen, Bäumen
und Insekten überzieht. Kolbes radierte Fantasieland-
schaften lassen den Spr ung in die Klassische Moderne,
insbesondere zu Max Ernst, mühelos zu. Bei genauerem
Hinsehen kann die arkadische Lebensfreude, dies war
den Dichtern und Malern seit der Antike bekannt, jeder-
zeit in ihre Schrecken erregende Kehrseite kippen . Harm-
loser scheinen auf den ersten Blick die Vergnügungen auf auf