Full text: Jahresbericht 2016 (2016)

64 AKTIVITÄTEN 
Nach einer familienbedingten Pause im Vorjahr war 
Mirjam Varadinis im Berichtsjahr wieder voll aktiv. An­ 
fang Jahr standen bei ihr die Vorbereitungen für die 
grosse Pipilotti Rist­Ausstellung im Vordergrund, in der 
auch einige Arbeiten aus der Videosammlung gezeigt 
wurden. Im Zuge dieser umfangreichen Präsentation 
realisierte die Künstlerin ein neues Werk für das Glas­ 
dach und die Aussenfassade des Kunsthauses, welches 
im Anschluss an die Ausstellung Eingang in die Samm­ 
lung fand. «Tastende Lichter» (2016) heisst dieses Werk 
(siehe dazu auch Bericht S. 38 – 40). Es besteht einerseits 
aus farbigen Lichtkegeln, die sich abends langsam dem 
Glasdach entlangtasten, und andererseits aus einer Vi­ 
deoprojektion, die das Relief «Amazonenkampf» (1910) 
von Carl Burckhardt (1860 – 1936) an der Westfassade des 
Kunsthauses zum Leben erweckt. Das Kunsthaus kann 
frei wä hlen, zu welchen Zeiten das Werk gezeigt werden 
soll. Mit diesem neusten Zuwachs konnten die Bestände 
von Pipilotti Rist im Kunsthaus erneut gestärkt werden. 
Die Videosammlung besch äftigte Mirjam Varadinis im ver­ 
gangenen Jahr auch in konservatorischer Hinsicht. Das 
vor zwei Jahren aufgegleiste Digitalisierungs­ und Res­ 
taurierungsprojekt erweist sich als zeitaufwendiger als 
ursprünglich gedacht. Das hat damit zu tun, dass jedes 
Videoband eine ganz eigene Geschichte hat – sowohl kon­ 
servatorisch­restauratorisch wie auch kunsthistorisch. 
Ein gutes Beispiel war und ist das Werk «Ohne Titel» 
(1995) von Fischli / Weiss, das die beiden Künstler für die 
Biennale in Venedig geschaffen hatten. Das Werk u mfasst 
insgesamt über hundert Stunden Videomaterial, das im 
Entstehu ngsja hr auf VHS­Kassetten angekauft wurde. Pe­ 
ter Fischli verfügt über eine digitale Version des Werkes, 
die er dem Kunsthaus zur Verfügung stellte. Als Agathe 
Jarczyk, die für die Restaurierung und Digitalisierung der 
Videobänder zuständig ist, die ursprüngliche VHS­Version 
GRAFISCHE SAMMLUNG 
mit der digitalen Versi on von Peter Fischli verglich, merk­ 
te sie, dass die digitale Version nicht nur kürzer ist, son­ 
dern auch die einzelnen Aufnahmen auf den Bändern eine 
völlig andere Reihen folge haben. Die Künstler hatten das 
Werk also im Laufe der Zeit we iter bea rbei tet. Welches ist 
denn nun das Origin al werk? Und wie geht man mit diesen 
verschiedenen Varianten um? Die einzelnen Versatzstücke 
dieser Geschichte müssen in aufwendiger Rec herche ar­ 
beit gesucht und zusammengesetzt werden – und das 
braucht seine Zeit. Daher wird uns das Digitalisierungs­ 
und Restaurierungsprojekt noch eine Weile beschäftigen. 
Bei den Ankäufen soll hier kurz auf das Werk «Horizontal 
#18» (1978) von Judith Bernstein (*1942) eingegangen 
werden. Die amerikanische Künstlerin hat ihr Leben lang 
immer wieder das eine Motiv gezeichnet und gemalt: den 
Phallus. Bernstein dazu: «Nach dem Bachelor began n ich 
in den Sechzigern als Studentin an der Yale University, 
den Phallus als Metapher für Feminismus und männli­ 
ches Imponiergehabe zu verwenden. An der Yale­Uni gab 
es zu dieser Zeit im Grundstudium nur Männer.» Mit der 
Zeit kamen Graffiti­Elemente dazu und Ber nstein verwen ­ 
dete für ihre Anti­Vietnam­Kriegszeichnungen auch krude 
Kritzeleien, wie wir sie aus Männertoiletten kennen. Als 
bevorz ugtes Mediu m verwendet die Künstlerin den Kohle­ 
sti ft. «Über meine gesamte künstlerische Laufbahn habe 
ich das Arbeiten mit Holzkohle als äusserst dynamisch, 
roh und persönlich erlebt. Es verleiht diesen politischen 
Zeichnungen etwas Kernig es und lässt sie aus dem Bauch 
heraus kommen. Die Holzkohlearbeiten stehen für eine 
Verschmelzung von Antikriegskunst, Feminismus und Se­ 
xualität», so die Künstlerin. Lange musste Bernstein auf 
Anerkennung wa rten. Die explosive Energie ihrer A rbeiten 
passte wohl nicht in das Klima der Pop­ und später der 
Minimal Art. Erst in den letzten Jahren wurde ihr Werk 
entdeckt – und das zu Recht. Die Kraft des schwarzen schwarzen
	        
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