Alberto Giacometti
Portrait Ernst Scheidegger,
um 1959
Scheidegger trägt einen Wintermantel und einen Schal, die
Hände steck en in den T a schen. Auch seine Ha ltung mit dem leicht
schrä g gehaltenen Kopf wirkt unüblich leger. Dazu passt die lich-
te Farbigkeit des Bildes, die an Aquarellmalerei erinnert. Der
Farbauftrag ist zum eist dünn, nur im Bereich des Gesic htes ver-
di chtet sich die Malerei in für Giacometti charakteristischer Wei-
se zu einem sich in Schichten entwickelnden Protokoll seiner
Wahrnehmung. Hier verschwindet nun auch alles Bei läufi ge. Der
Fotograf – sonst selber gewohnt, das Sichtbare einzufangen –
sitzt reglos da, b emüht, der i ntensiven künstlerischen Befra gung
stand zuha lten.
Ähnlich wie im 1958 entstand enen Bild der immateriell wir-
k enden Mutter des Künstlers aus dem Besi tz der Giacometti-Stif-
tung (GS 256), scheinen die Lineamente im Hintergrund des
Scheidegger-Porträts Elemente einer konkreten Wandstruktur zu
evozieren. Anders als in jenem gehen sie in d iesem aber nicht in
eine gema lte Ra hmung der Komposition als Ga nzes über. Die un-
mittelbare Präsenz des Dargestellten wird dadurch noch ver-
stär kt.
Philippe Büttner
1 New York, P ierpont Morgan Library , Pierre Mati sse Gal lery Archive, box 11, folder 23, item
140. Der ziti erte Text entspricht der T ranskription des unpublizierten Briefwechsels von
Giacometti und Matisse, die mir dankenswerterweise von Catherine Grenier, Direktorin
der Fondation Alberto et Annette Giacometti in Pari s, zur V erfügun g gestellt wur de. In spä-
teren Jahren scheint sich Giacometti von der mittlerweile starken Präs enz von Scheideg-
gers F ot ografien auch eingee ngt gefüh lt zu h aben, s. Beat Stut zer , «Alberto Giacomet ti,
von Fotografen gesehen», in: Alberto Giacomet ti neu geseh en. Unbekannte Fotografien
und Zei chn ungen, Aus st.-Kat . Bündne r Kunst museu m Chur, Züric h 2011, S. 33 – 52, hier
S. 45.
2 Ernst Scheidegger , Alberto Giacometti. Spur en einer Freundschaft, Z ürich 2013, S. 4, Ab-
bildung auf dem Frontispiz. Ansc hein end fertig, aber noch unsigniert ist das Bild in die sem
Band zudem (S. 35) auf einem Foto des Atel iers in Stampa, an einer Wand leh nend, zu
sehen. Serena Buc alo von der Albert o Giacometti-Stiftung in Paris zufolge stammt die-
ses Foto von 1961. Damit ist die Datierung 1962, die sich in den Kata logen der Ausst el-
lu ngen findet , in denen das Bild zu sehen war, unrichtig: La Svizzera Italiana onora Al-
berto Giacometti, Ausst.-Kat. Museo civico di Belle Arti Lugan o, Lugano 1973, Kat. Nr. 45
(«Ritratto del sign or Sc heidegger» , Masse unrichtig); Alberto Giacomet ti. Plastiken. Ge-
mälde. Zeichnungen, Ausst .-Kat . Wilhelm-Lehmbruck-Museum, Duisburg / Städtische
Kunsthalle Mannheim [Duisburg] 1977, Kat. Nr. 78 («Po rträt E.S.», Masse unrichtig) – alle
ohne Abbildung des W erks. Betreffend die Anwesenheit des Kün stlers in Stampa in den den