58 AKTIVITÄTEN
Unterstützt von Swiss Re – Partner für zeitgenössische
Kunst sowie von der Art Mentor Foundation Lucerne, der
ar tEDU Stiftung und der Dr. Georg und Josi Guggenheim-
Stiftung. Mirjam Varadinis
CANTASTORIE. RITTER, RÄUBER, ZAUBERINNEN –
VOLKSKUNST AUS SÜDITALIEN
Süditalienische Volkskunst im Kunsthaus Zürich: Die
Ausstellung «Cantastorie» zeigte mit rund 80 Plakaten,
T extbüchern, Puppenköpfen und Filmdokumenten einen
Einblick in die wenig bekannte Welt der neapolitanischen
Bänkelsänger und Puppenspieler. Ihre grosse Blüte fand
diese Form des Ausdruckstheaters im 19. Jahrhundert
und verschwand zur Mitte des 20. Jahrhunderts mit der
Verbreitung von Radio und Fernsehen nah ezu ganz. In Zei-
ten und an Orten, in denen kaum jemand lesen konnte,
wurde der Puparo und der Cantastorie, der Vortragende,
zum Erzähler, Nachrichtensprecher und Darsteller in ei-
nem. Bei den in der Ausstellung gezeigten Illustrationen
handelt es sich um das Erbe zweier Puppenspielerfamili-
en aus Neapel und Foggia, den Familien Parisi und Mal-
dera. Jeden Abend fand in ihrem Theater eine Aufführung
statt, gespielt wurde mit prächtigen und grossen Stan-
genpuppen. Das Publikum waren meist einfache Leute.
Die jeweilige Episode der gespielten Geschichte wurde
vor dem Theater mit den in der Ausstellung gezeigten
Plakaten angekündigt. So sind diese Szenen mehrheitlich
als Aushängeschilder des Puppentheaters zu verstehen,
ähnlich einem heutigen Kinoplakat.
Das Repertoire der Puppenspieler umfasst e schwerp unk t-
mä ssig die Erzählung der Gesch ic hten der Paladine Karls
des Grossen und ihrer Käm pfe gegen die Sarazenen. Die
Grundlage dieses weitverzweigten Geschichtenkosmos
bil den die beiden Romane «Orlando furioso» von Ludovi-
co Ariosto und «La Gerusalemme liberata» von Torquato
Tasso, beide geschrieben im 16. Jahrhundert. Diese Epen
waren grossen Teilen der süditalienischen Bevölkerung
noch bis weit ins 20. Jahrhundert vertraut. Nicht jedoch
aus der Literatu r , son dern vielmehr in der Nacherzählung
und Vermittlung von Bänkelsängern und fahrenden Ge-
schichtenerzählern, die sie über die Jahrhunderte wei ter
getragen, ausgeschmückt und umgedichtet hatten. Dass
das vom Mittelalter begeisterte Publikum im ausgehen-
den 19. Jahrhundert eine solch ausgeprägte Vorliebe für
diese heldenhaften Geschichten entwickelte, erstaunt
nicht. Die Puppenspieler brachten jedo ch nicht nur histo-
rische Stoffe auf die Bühne, auch die eigene Lebenswirk-
lichkeit fand ihren Widerhall in den sogenannten «Storie
di Napoli». Banditen- und Brigantengeschichten waren in
ganz Süditalien populär, jede Region besa ss ihre eigenen
Helden.
Kunst, Moral und Vergnügen standen im Zentrum dieses
«Theaters der kle inen Leute» und ebens o sehr in der Aus-
stellung im Kunsthaus. Begleitet w urden die Theatervor-
führungen jeweils von Musik, weshalb in der Ausstellung
eine originale Jahrmarktsorgel integriert wurde. Rund
ein Drittel des Ausstellungsraumes war reserviert für die
gross e Bühne für Konzert- und Theateraufführungen und und