Das Blatt gewährt Einblick in die Genese der Lithografiefolge und
beeindruckt durch die rasante und dennoch sichere Linienfüh-
rung. Man wird auf dem Studienblatt keine konkrete Vorzeichnung
für eine jener siebzehn Lithografien finden, vielmehr werden
prägnante Motive des gesamten Zyk lus aufgerufen. So gerät un-
sere Zeichnung gewissermassen zu einer «Summa» der Folge
selbst.5
Gerade angesichts der Vielfalt an Theme n und Motiven, die
dieses Blatt aufzuweisen hat – von der Herausarbeitung einzelner
Gesichtstypen über Kostümstudien bis hin zur Überprüfung von
Körperhaltungen –, muss es umso mehr erstaunen, dass die
Komposition nicht in ihre Einzelteile zerfällt, sondern als ein
rhythmi sch zusammenwirkendes Ges amtg efüge ersc heint.
Delacroix wird das Blatt nicht als Nebenprodukt erachtet ha-
ben, das ausschliesslich der Vorbereitung seiner Lithografien
di ente, sondern als eine Zeichnung, die allen Grund dazu hat, ei-
nen autonomen Wert zu beanspruchen: Aus der Zeichnung spricht
die Virtuosität des Künstlers, sich in die unzä hlig en, über das Pa-
pier verteilten Mo tive zu vertiefen , ohne dabei jemals die Gesam t-
wirkung des Blattes aus dem Auge zu verlieren.
Jonas Beyer
1 Dorit Schäfer, «<Bilder, an die nieman d hätte denken können>. Die Faust-Illustrationen
von Delacroix», in: Eugène Delacroix, Auss t.-Kat . Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, H eidel-
berg 2003, S. 86 –95, hier S. 86.
2 Zit. n. Joh ann Peter Eckermann, Gespräc he mit Goe the in den letz ten Jahren se ines
Lebens , hg. v. Heinz Schlaffer, Münc hen 2006 (= Joha nn W olfgang Goethe, Sämtliche Wer-
ke, Münchner Ausgabe, Bd. 19), S. 167.
3 Zit n. ebd., S. 168.
4 Die Zeichnung Delacroix’ erweite rt den Um fang an französischen Zeic hnu ngen, die das
Kunsthaus Züric h von Künst lern wie Géricault, Céza nne oder Degas aufbew a hrt. Zudem
ergänzt der Erwerb von Delacroix’ Studie nblat t nicht zuletzt den im Kunsthaus Züric h na-
hezu vollständig vorliegenden Zykl us sei ner F aust-Lithografien.
5 Die sk izzie rten Figuren ähn eln beze ich nenderweis e jenen Randzeic hnu ngen Delacroix’,
die sich auf Probeabzügen seiner Faust-Lithografien befinden. Zur kommentierenden
Funktion dieser Randzeichnungen vgl. Margret Stuffmann, «Randbemerkungen. Dela-
croix’ Lithographien zu Goethe. Faust, I. Teil», in: Jenseits der Grenzen. Französische
und deutsche Kunst vom Ancien Régime bis zur Gegenwart, Thomas W. Gaethgens
zum 60. Geburtstag, hg. v. Uwe Fleckner (u. a.), Bd. 2: Kunst der Nationen, Köln 2000,
S. 111–126.