Full text: Jahresbericht 2020 (2020)

hat Jules Mic helet in seinem Buch «L ’in secte» ein bemitleidens- 
wert es Bild der Spinne gez eichne t, die in einem T euf el skreis ge- 
fangen sei und nur essen würde, damit sie ihr Netz spinnen kön- 
ne, während sie wiederum ihr Netz nur zu spinnen hätte, um 
Nahrung aufnehmen zu können: «Elle est constamment serrée 
dans ce cercle vici eux: pour filer , il faut manger; pour manger, il 
faut filer.» 
2 
Und wenig s päter weist Mi chelet die Sp inne in seinem 
Buch gar als Künstlerin aus, die ohne ihr Netz ( = toile, was im 
Französischen bezeichnenderweise auch Leinwand bedeutet) 
gänzlich aufgeschmissen wäre: «L ’araignée est si ne rveuse, que 
la peur qui la rend artiste peut aussi la paralyser et lui faire per- 
dre la tête. Sa toile seule lui donne courage.» 
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Die bei Redon vermutete Gleichsetzung von Spinnen- und 
Künstlerdasein erhält vor diesem Hintergrund freilich einige 
Plausibilität. Nimmt man hinzu, dass auch das Haupt Johannes 
des Täufers bei Redon für eine herausg ehob ene, der Gesell schaf t 
entrückte Position ste ht, so sehen wir uns bei Redons Koppelung 
zweier Bildthemen der in der K uns tg eschichte immer wied er auf- 
tauchenden Erzählung vom Künstler als Aussenseiter , wenn nicht 
gar Märtyrer der Gesell scha ft, gegenüber . Henri Ma tisse werden 
solche Q uerbezüge der Zeichnung bewusst ge wesen sein. Ihm ge- 
hörte einst die hier vorliegende Zeichnung 
4, 
die – nachdem sie 
mehrer e Male den Besitzer wechselte und zuletzt Teil der Ham- 
burger Sammlung von Klaus und Erika Hegewisch war – nun zu 
den Schätzen des Kunsthauses zäh lt. 
Jonas Beyer 
1   Joris- Karl Huysmans , Gegen den Strich, Züric h 1981, S. 142. 
2   Jules Michelet, L ’insecte. L ’ infini vivant, 6. Aufl. Paris 1867, S. 210. 
3   Ebd. S. 219. 
4   Alec Wildenstein, Odilon Redon. Cat alogue raiso nné de l’œuvre peint et dess iné,   
Bd. 2: Myth es et légendes, Paris 1994, S. 172, Nr. 1086.
	        
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