hat Jules Mic helet in seinem Buch «L ’in secte» ein bemitleidens-
wert es Bild der Spinne gez eichne t, die in einem T euf el skreis ge-
fangen sei und nur essen würde, damit sie ihr Netz spinnen kön-
ne, während sie wiederum ihr Netz nur zu spinnen hätte, um
Nahrung aufnehmen zu können: «Elle est constamment serrée
dans ce cercle vici eux: pour filer , il faut manger; pour manger, il
faut filer.»
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Und wenig s päter weist Mi chelet die Sp inne in seinem
Buch gar als Künstlerin aus, die ohne ihr Netz ( = toile, was im
Französischen bezeichnenderweise auch Leinwand bedeutet)
gänzlich aufgeschmissen wäre: «L ’araignée est si ne rveuse, que
la peur qui la rend artiste peut aussi la paralyser et lui faire per-
dre la tête. Sa toile seule lui donne courage.»
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Die bei Redon vermutete Gleichsetzung von Spinnen- und
Künstlerdasein erhält vor diesem Hintergrund freilich einige
Plausibilität. Nimmt man hinzu, dass auch das Haupt Johannes
des Täufers bei Redon für eine herausg ehob ene, der Gesell schaf t
entrückte Position ste ht, so sehen wir uns bei Redons Koppelung
zweier Bildthemen der in der K uns tg eschichte immer wied er auf-
tauchenden Erzählung vom Künstler als Aussenseiter , wenn nicht
gar Märtyrer der Gesell scha ft, gegenüber . Henri Ma tisse werden
solche Q uerbezüge der Zeichnung bewusst ge wesen sein. Ihm ge-
hörte einst die hier vorliegende Zeichnung
4,
die – nachdem sie
mehrer e Male den Besitzer wechselte und zuletzt Teil der Ham-
burger Sammlung von Klaus und Erika Hegewisch war – nun zu
den Schätzen des Kunsthauses zäh lt.
Jonas Beyer
1 Joris- Karl Huysmans , Gegen den Strich, Züric h 1981, S. 142.
2 Jules Michelet, L ’insecte. L ’ infini vivant, 6. Aufl. Paris 1867, S. 210.
3 Ebd. S. 219.
4 Alec Wildenstein, Odilon Redon. Cat alogue raiso nné de l’œuvre peint et dess iné,
Bd. 2: Myth es et légendes, Paris 1994, S. 172, Nr. 1086.