Karamustafa hat sich in ihrem Werk wiederholt mit dem so-
genannten Orientalismus beschäftigt, also mit dem westlichen
Blick auf die muslimische Welt, etwa in der Videoinstallation «From
the Outside» (1999) oder in der Fotoinstallation «Porters Loading»
(2013). Die orientalistische Malerei, die im 19. Jahrhundert sehr
populär war, zeigt Szenen, die das Leben der islamischen Welt dar-
stellen sollen, in Wahrheit jedoch von zahlreichen Stereotypen ge-
prägt sind. Mit dem «Orient» assoziierten die Menschen in Europa
einerseits Rückständigkeit, Trägheit und Barbarei, andererseits
aber auch Sinnlichkeit und idyllisches Dasein. Gleichzeitig sehnten
sie sich nach den fernen Ländern und bewunderten deren Kunster-
zeugnisse. Mit Edward W. Saids folgenreicher Studie zum Orienta-
lismus 1978 wurde der Begriff als eurozentrisches Konstrukt mit
hegemonialer Haltung stark kritisiert und sorgt in der Wissen-
schaft noch heute für
Uneinigkeit.1
Karamustafas Video «The City
and the Secret Panther Fashion» geht jedoch über die Klischees
des Orientalismus hinaus und thematisiert die Unterdrückung von
Frauen in patriarchalen Gesellschaften im
Allgemeinen.2
Karamustafa war 2021 Preisträgerin des Roswitha Haftmann-
Preises und das Video Teil der Ausstellung «Re-Orientations. Euro-
pa und die islamischen Künste, 1851 bis heute» (siehe S. 52 / 53).
Sandra Gianfreda
1 Edward W. Said, Orientalismus, Frankfurt am Main 2009 (engl. Originalausgabe: Orien-
talism. Western Conceptions of the Orient, London 1978); zu der Kritik siehe insbes. Ibn
Warraq, Defending the West. A Critique of Edward Said’s Orientalism, Amherst (NY) 2007;
John M. MacKenzie, «The Orientalism Debate», in: Inspired by the East. How the Islamic
World Influenced Western Art, Ausst.-Kat. The British Museum, London, London 2019,
S. 16–29.
2 Siehe auch: Nadia Radwan, «Interview mit Gülsün Karamustafa», in: Re-Orientations.
Europa und die islamischen Künste, 1851 bis heute, Ausst.-Kat. Kunsthaus Zürich,
München 2023, S. 62–63.