Diese Wahrheit liegt im Ganzen. Von den Einzelheiten ist jede
da und hält stand, wenn der Blick auf ihr ruht, um unauffällig an
ihren Platz im Bild zurückzutreten, wenn er sie losläßt. Die Ele-
mente der Vallotton’schen Bilder zerfallen nicht in strahlende So-
listen und farblose Statisten. Sie leben, auch wenn sie an sich sehr
heftig aneinander stoßen, in stählern fest geschlossenem, oder in
mehr entspannt schwebendem Gleichgewicht der sinnlichen und
seelischen Kräfte, die sie in sich bergen oder im Betrachter an-
sprechen.
Die Malerei von Vallotton ist keinesweg unsinnlich. Zarte Blüten-
blätter, ein bunter Teller, ein chinesischer Topf, eine Frucht, ein
Trinkglas, ein Stück Seide in einem Stilleben locken mit ver-
führerischer Stofflichkeit. Die feuchte Schwüle eines Pariser Juni-
tages im Garten des Luxembourg, der goldene Schleier über den
Hügelzügen der schweizerischen Hochebene, das tödlich starre Licht
über südlicher Landschaft, der frische Meerwind und das Spiel von
Licht und Wasser an südlichen und nördlichen Küsten sind spür-
bar gegenwärtig. Nicht zu reden vom Glanz oder der weichen Fülle
der Haare und der Haut seiner Akte. Wie schmiegen im engen
Baderaum die Frauen, rosig erwärmt, sich in süßem Nichtstun, und
wie ganz anders strafft das Spiel in freier Luft und Flut die Körper
der drei Frauen mit dem kleinen Mädchen.
Wenn aber eine Hand nach solchen Dingen greifen oder auch
nur ein Auge den vermuteten Reiz des „metier“ kosten möchte,
zieht das Bild sich zurück, wird bloße Fläche, ohne Schmelz und
Selbstgefälligkeit, dumpf und rauh, fast nur Anstrich.
Das Bild bleibt Bild: Täuschung: nicht für das Auge, dessen
Welt eben das Bild ist, doch für den Wunsch nach dem Besitz
der Dinge in ihrer eigenen Existenz, oder des Bildes nur als Malerei.
Vallotton bannt in seinen Bildern zugleich Wesen und Schein der
Dinge; indem er in strenger Wahl als wesentlich erkannte Merkmale
der Dinge, nicht ihre Erscheinung, malt.
W. Wartmann
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