Satz, Absatz. Worte und Sätze sind in der Dichtung weiter
nichts als Teile. Ihre Beziehung untereinander ist nicht die
übliche der Umgangssprache, die ja einen anderen Zweck
hat: etwas auszudrücken. In der Dichtung werden die Worte
aus ihrem alten Zusammenhang gerissen, entformelt und in
einen neuen, künstlerischen Zusammenhang gebracht, sie
werden Form*Teile der Dichtung, weiter nichts.
Ich will hier nicht näher eingehen auf die Verwischung der
Grenzen zwischen den Kunstarten, etwa Dichtung und Ma*
lerei. Ich muß darüber eine lange Abhandlung schreiben,
vielleicht in MERZ 2 oder 3. Kunstarten gibt es nicht, sie sind
künstlich voneinander getrennt worden. Es gibt nur die Kunst.
Merz aber ist das allgemeine Kunstwerk, nicht Spezialität.
Das umfassendste Kunstwerk ist die Architektur. Sie umfaßt
alle Kunstarten. MERZ will nicht bauen, MERZ will umbauen.
DIE AUFGABE VON MERZ IN DER WELT IST:
GEGENSÄTZE AUSGLEICH ENZ=
UND SCHWERPUNKTE VERTEILEN.
Die Architektur nimmt heute noch zu wenig Rücksicht auf
Bewohnbarkeit, sie berücksichtigt zu wenig, daß Menschen
durch ihre Anwesenheit ein Zimmer verändern. Ist der Raum
gut balanciert, so stört der hineintretende Mensch das künst*
lerische Gleichgewicht. MERZ allein kann und muß mit nach*
träglich hinzukommenden Zufälligkeiten rechnen. Ich werde
in einem der kommenden Merzhefte darüber mehr schreiben.
Ich rege einstweilen nur an, daß man z. B. Gewichte schaffen
könnte, die durch Betreten eines Raumes mechanisch aus*
und eingeschaltet werden, um den Menschen ins absolute
Gleichgewicht zu bringen. Aber man kommt auch ohne
Mechanik aus, wenn auch nicht so vollkommen. Man muß
eine intensive Beziehung schaffen zwischen Mensch und
Raum. Und das erreicht man durch Einbeziehen der Fährte
in die Architektur. Dieses ist eine ganz neue Idee, die die
Unbewohnbarkeit der Häuser wird ausmerzen können. Ich
schreibe darüber noch ausführlich. Jetzt kann ich schon ver*
raten, daß ganz in der Stille Experimente mit weißen Mausen
gemacht werden, welche eigens dazu konstruierte Merzbilder
bewohnen. Einstweilen wird die Fährte der weißen Mäuse
studiert. Auf der Werft befinden sich aber Merzbilder, die
mechanisch die Bewegung der weißen Mäuse ausbalancieren
werden. Einige Kontakte lösen verschiedene Beleuchtung aus,
mechanisch, im Verhältnis zur Bewegung der Mäuse. Das
mechanische Zimmer aber ist der einzige konsequente Raum,
der künstlerisch geformt und trotzdem bewohnbar ist.
KURT SCHWITTERS