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EL USSITZKY: PROÜN B111 1922 aus der Sammlung Gabrielson, Goeteborg
den man nie gekannt hat. Oie Leute aber, die vor dadä
waren und noch vor dadä sind, haben dadä noch nie über
wunden. „Aber,“ sagen die kleinen Kunstgeiehrten, „haben
wir auch nicht selbst dadä überwunden, so ist doch die
Zeit über dadä hinweggeschritten.“ Mithin wäre dadä tot
getreten, ganz platt. Die kleinen Kunstgelehrten irren
fortgesetzt, wie nur Kunstgelehrte zu irren pflegen. Wer
sollen solche Leute nach dada etwa sein? Ich z. ß Sie
sehen, obgleich ich Merz bin, lebe, male, dichte, obgleich
ich Gegner von dadä bin, muß ich doch zugeben, daß
dadä lebt, und bediene ich mich zeitweise dieses Mittels.
Oder etwa van Doesburg? Er ist die Zeitschrift Styl,
die konsequenteste Kunstzeitschrift von Holland, jedoch
fördert er aktiv den Dadaismus als bestes Werkzeug
um aufzulockern, um umzugraben. Oder meinen die
kleinen Kunstgelehrfen etwa Hans Richter, den Heraus
geber von G, den konsequentesten deutschen Filmkünstler?
Richter sagt: „Eine moderne Zeitschrift ohne dadä ist
nicht denkbar.“ Meine Kleinen Herren Kunstgelehrten,
was meinen Sie nun? „Dadä wäre tot, weil es sich nicht
weiter entwickeln könnte?“ Sie irren, wie Sie sich immer
geirrt haben. Denn: jgf
Denn stets ist Reinigung der Kunst durch irgend
welche Art von dadä nötig, zur Beseitigung der Fäulnis
produkte, die durch Absferben entbehrlich gewordener
Zellenkomplexe entstehen. Nun fragen die kleinen Kunst
gelehrten, wie sich dadä würde weiterentwickeln können.
Es ist eine undankbare Aufgabe, zu prophezeien, aber
ich möchte wetten, daß der reine Dadaismus sich ent
wickeln wird in Richtung „abstrakte Nichtkunst.“ Ich
füge einige Vorschläge hinzu für reine Dadaisten, was
sie in Zukunft tun sollen, wenn sie gesund bleiben wollen.
Zum Beispiel Stelle sich ein Dadaist zu Beginn eines
Dadävortrags auf die Bühne und tue weiter nichts, als
von eins anfangend ganz gleichmäßig zu zählen, ohne sich
um die Resonnanz im Publikum irgend zu kümmern.
Oder man lasse die Bühne leer, ziehe den Vorhang auf
und lasse das Publikum vor der leeren Bühne sitzen.
Die Wirkung wird außerordentlich sein und Manchem
Anregung geben. Wenn mehrere Dadaisten verwendet
werden, so stelle man einen Tisch mit Tasse auf die
Bühne. Langsam gehen ohne Unterbrechung die Dadai
sten an der Tasse vorbei und sagen monoton, einzeln,
je bei Passieren der Tasse: „Das ist eine Gabel.“ Hat
der letzte dieses gesagt, so beginnt der erste wieder mit
derselben Feststellung, ohne Unterbrechung, monoton ganz
leichmäßig, und so weiter. Jetzt haben Sie eine Ahnung
davon, was abstrakte Unkunst sein wird, und welchen
erzieherischen Wert sie haben kann. Merz.
X P)FR TAP^ Aus dem R o ma n „Ypsilon“
L^L_l\ iniOi von Chr. Spengemann.
Eines Tages stand Y mit einem Taps vor einem Kunstwerk.
(Portrait vastehste). Da sagte der Taps: „Wo hat der nun
den anderen Arm?“ — „Welchen anderen Arm?“ fragte Y.
„Den zweiten,“ sagte der Taps, „er hat doch 2 Arme.“
„Woher wissen Sie, daß er 2 Arme hat?“ — „Na, das
weiß man doch,“ ereiferte sich der Taps, „er muß doch
2 Arme haben!“ — „Dann zeigen Sie mir den zweiten,“
sagte Y ganz ruhig.“ — „Ja, den hat er eben nich,“
rief der Taps stark bewegt. — „Also hat er nur einen,“
lächelte Y. - „Aber er muß doch zwei Arme haben,“
stieß der Taps heftig hervor. — „HERR TAPS!" sagte
Y keftig, aber bestimmt, „wenn er ihn nicht hat, so kann
er ihn doch auch nicht HABEN.“ — „Aber er muß ihn
HABEN,“ krähte der Taps zum dritten Male. „Dann also
frage ich Sie, wo hat er ihn?“ rief Y jetzt mit einiger
Schärfe, „wo hat er ihn?“ - „Danach frage ich Sie doch,“
entrüstete sich der Taps. „Nein, ich frage Sie,“ schrie
Y und umklammerte] die Gurgel des Tapses, „Ich frage Sie, ICH SIEI Ver
stehen Sie! ICH SIEI Ich frage Sie: wo hat er seinen andern Arm? Herr!
Sie behaupten mit unerhörter Dreistigkeit, er müsse ihn haben. Darum frage
ich Sie: wo hat er ihn? Wo haben Sie ihn gelassen? Sie wissen um diesen
Arm! Schaffen Sie ihn heran! HERRI Ich verlange von Ihnen den zweiten
Arm!“ Mit einem Ruck der Verzweifelung befreite sich der Taps aus
Ypsilons Händen und
floh, ohne über den FEHLENDEN ARM auch nur das
GERINGSTE"
Zusagen. CHR. SPENGEMANN