Volltext: Ludwig Hilberseimer: Grosstadtbauten (18/19)

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baues sind nicht Prachtbauten und Prachtstraßen, sondern Wohn 
stätten und Verkehrswege. Was der Raum, das Haus im Kiemen, 
ist die Stadtanlage im Großen: eine umfassende Organisation 
und Gestaltung wechselseitiger Bedürfnisse und Beziehungen, 
Die Aufgabe des Städtebauers greift weit über die Gegenwart 
hinaus. Er bestimmt in großen Zügen die Stadt und das städtische 
Leben der Zukunft, Daher ist es unerläßlich, jeder Stadtanlage 
einen umfassenden Plan zu Grunde zu legen, der mit Ueber- 
legung und Sorgfalt den verschiedenartigsten Bedürfnissen eines 
werdenden Gemeinwesens Rechnung trägt, seine geographische 
und topographische Lage berücksichtigt, seine staatliche, wirt 
schaftliche und produktive Bedeutung nicht außer acht läßt. 
Wichtig ist vor allem die Festlegung der Verkehrsmittel: Bahnen, 
Kanäle und Führung der Hauptstraßen. Sie sind die Pulsadern 
des gesamten Organismus. Von gleicher Bedeutung ist die Unter 
teilung in Wohn-, Geschäfts- und Industrieviertel, entsprechend 
den Gegebenheiten und der Eigenart des Geländes und unter 
Berücksichtigung der entsprechenden Bedürfnisse, 
Im Gegensatz zu den sogenannten natürlichen Stadtanlagen des 
Mittelalters beruht der Stadtplan der Großstadt auf dem so 
genannten künstlichen, geometrischen System, gegen das kein 
wesentlicher Einwand vorgebracht werden kann. Allerdings 
wurde es infolge seiner schematischen Anwendung im 19. Jahr 
hundert ungeheuer diskreditiert. Aus Bequemlichkeit, Ge 
danken- und Phantasielosigkeit hat man es völlig sinnlos an 
gewandt, ohne Rücksicht auf das Gelände, ohne höhere Ge 
sichtspunkte, ohne Sinn für Architektonik. Trotzdem entspricht 
die Anlage des Stadtplanes nach geometrischen Gesichtspunkten 
den Grundprinzipien aller Architektur, Die gerade Linie, der 
rechte Winkel waren immer deren vornehmste Elemente, Ent 
spricht nicht auch die gerade Straße mit ihrer Uebersichtlichkeit 
eher unserem heutigen Empfinden und ordnenden Geist als die 
willkürlich gebogene? Man hat viel darüber gestritten, ob wink- 
lige, gebogene Straßen den geraden vorzuziehen seien. Hierüber 
allgemein entscheiden zu wollen erübrigt sich. Maßgebend sind 
allein das praktische Erfordernis und das künstlerische 
Empfinden. Für den schöpferischen Menschen sind Systeme nur 
Mittel zur Gestaltung, Je nach den Gegebenheiten und Ab 
sichten des Gestaltenden wird die Straße bald gebogen, bald 
gerade verlaufen müssen. Unzutreffend aber ist die weit ver 
breitete Meinung, daß Unebenheiten des Geländes geometrische
	        
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