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MITTEILUNGEN.
Theodor Daubier, „Hesperien“, Georg Müller Verlag 1915.
Erschöpfendes Verständnis für Däubler zu vermitteln und zu erwecken, ist mir unmöglich: Sein
Werk ist unerschöpflich, mit unsern menschlichen Maßstäben nicht meßbar: es handelt sich bei
Däubler nicht um die höchstdenkbare Begabung sich auszudrücken/ er ist zu umfassend, als daß
man ihn Genie <entfaltetsten Gipfel des quantitativen Menschentypus) nennen könnte: er ist das
hingebungsvolle Mundstück kosmischer Offenbarung, Träger von Geheimnissen des Ursprungs,
die, sein Bewußtsein übertönend, ihn zu ihrem urbestimmten Verkünder machen. Es ist, als ob er
von sonnennäherem Sterne Erkenntnisse geholt, die zu versprachlichen ihm allein möglich, die
zu verstehen <d. h. darüber nicht mehr denken zu müssen) selbst ihm wohl nicht möglich ist.
Unter Däublers Büchern: »Das Nordlicht«, »Hesperien«, »Der sternhelle Weg«, »Mit silber-
ner Sichel«, »Das Sternenkind«, »Wir wollen nicht verweilen«, »Der neue Standpunkt«, »Hymne
an Italien«, »Lucidarium in arte musicae« ist »Hesperien« das nahbarste in Form und Korn»
Position, dennoch keinem nachstehend an Unbedingtheit des Themas und seiner Bewältigung. Es
gibt nur ein Thema für ihn: Religion! Sehen, Erleben, Lieben alles Seins als Mitteilung einer gött
lichen) Einheit,-Wollen, Handeln, Dürsten und Ringen als Werben um Bestimmung, um die ^gött
liche) Einheit.
Da der Horizont der Sprache Däublers sie von ihren tropischsten Blustmöglichkeiten bis zu den
kristallisiertesten Abstrakten des Nordens umfaßt, findet man in »Hesperien« die prophetische
Deutung so unterschiedlicher Erscheinungen wie Mandelbaum und Obelisk, wie Sternenbild und
Zeitung, Ätna und Cafe,- erfährt die Neubelebung solch versteinerter Begriffe wie Zufall, Liebe,
Ehrgeiz, Adel, Ewigkeit, Gott, Eile, Wirklichkeit, Ekstase, Abschied.
Die Pole Blut und Hirn, Sinn und Logik, Affekt und Tat sind in Däubler so rein vorhanden,
daß sie sich nicht reiben, sondern eine geistige Hochspannung erzeugen, die bei jeder Berührung
mit der konkreten wie der ideellen Welt sich hemmungslos entlädt: produktiv wird. In »Hespe
rien« sind die entsprechenden Ebenen dieser Polarität, das historische und das südeuro
päische Italien. Däublers Symphonie zeugt von der unerhörten Tatsache, daß man, ungeteilt,
ohne Zwiespalt, ohne Betäubung die Bedeutung des Vesuvs für tausend Generationen seiner
Umwohner und gleichzeitig seine Silhouette am Abendhimmel erleben kann. Theodor Däubler
vermag sich über die Zeit zu erheben, ohne sich ihrer Wirkungen zu entheben. Er kann Gott sein,
ohne die Erde zu verleugnen.
Wieland Herzfelde
Die Galerie Hans Goltz Neue Kunst, München, Briennerstraße 8, eröffnete Mitte August ihre
vierte Gesamtausstellung. Mit wenigen Ausnahmen stellt diese Ausstellung, welche 139 Werke
zeigt, eine Kundgebung deutscher Expressionisten dar. Bei der Eröffnung hielt der Berliner Künst
ler Hans Richter, der mit 9 Werken in der Ausstellung vertreten ist, einen Vortrag über den
Willen der Neuen Kunst, welcher großen Beifall fand. Die Ausstellung, welche bis Oktober ge
öffnet bleibt, erzielte bereits am Eröffnungstage namhafte Verkäufe. Ein Katalog mit 31 Abbil
dungen und einem Vorwort ist zum Preise von M. 1.— durch die Galerie zu beziehen.
Fritz Freiherr von Ostini (Biedermeier mit ei), Redakteur der Münchener Kunst- und Wochen
schrift »Jugend« schreibt in der Abendausgabe der »Münchener Neuesten Nachrichten« vom
16. August 1916 über die Expressionistenausstellung bei H. Goltz unter anderem folgende be
merkenswerte Auslassungen: »Die Ausstellung, die gegenwärtig im ersten Stockwerk der Kunst
handlung »Neue Kunst« im Luitpoldblock zusammengebracht ist, will ganz offenbar eine Demon
stration sein und uns vor allem sagen, daß die Hoffnung eitel war, die Schrecken dieses Krieges
und die Schändlichkeiten unserer Feinde würden die hier vertretene Gruppe jüngerer Maler aus
dem Einfluß der französischen Charlatans Picasso und Matisse, der Väter des Expressionismus
und Kubismus, und etlicher Russen, die hier vor dem Kriege ihr Unwesen trieben, zu der Besin
nung auf deutsche Art zurückführen. Nein! Der Kubismus entwickelt sich lustig weiter zu immer
bizarrerer und unleidlicherer Art, Expressionismus und »Futurismus« treiben nach wie vor ihre
Blüten, und die Phrase behält die Herrschaft.... Man kann himmelweit von jedem Chauvinis
mus weg und der Überzeugung sein, der jetzt entfachte Völkerhaß dürfe uns nicht abhalten, künftig,
wie vorher, das Gute auch in der Kultur der uns feindlich gesinnten Völker anzuerkennen und zu