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ALPENGLÜHN
Wie selig doch auch mitten im Leide mir ist.
Hölderlin
Purpurkummer blutet aus dem Dunkel meiner Stummheit. Ich kann um keine Auskunft
fragen! Ich habe niemanden, um die Gedanken meiner Nacht von Mund zu Mund klar
herauszusagen. Sie können ihre Wahrheit bloß in mir erwägen.
Ruhe, dunkle Ruhe, hält die Stunde meiner Jugend fern umschlungen. Will kein Ge»
witter die erhitzten Augenblicke schwer durch wölken? Ich habe Leidenschaften: doch halten
sie sich hinter Furchthängen und selbstgewollten Einsamkeitsgrotten dumpf verkrochen.
Vorbei!—Und ohne Schrei,— vorbei sind alle Weigerungen, das Geheimnis leiser Ein»
gebung rein und geweiht zu halten. Nun aber fangen Leute an, von fern heranzurauschen:
Glühende Gefühle berücken sich im Traumesraum. Ich horche nicht, ich schaue: Vergangen»
heiten! Die Schmerzen — Schnee, die Leiden — Eis, die ganze Kindheit ein zerbrockter
Gletscher: Allerhand verwandte Flammen entstrahlen mir. Ich kenne sie, sie entschim»
mern uns, kühl entschmerzt, über mich hinweg! Die Nacht entstrahlt/ ich seh ihre Stadt.
Die Türme züngeln grün in das Gesicht. Unsre Urbekümmernisse, die herrlichsten Ver»
bergungen erglühn! Der Wahn erwacht, er wallt und wandert scharlachblaß durch starre
Purpurschluchten. Nun kann ich Flug auf Flug über erstrahlende Erfahrungsgrade wagen.
Die Sprache starrt mich Wandelbaren an. Ich kann ekstatisch ihre Wahrheiten erraten:
Ich walle, falle nun von Satz zu Satz. Ich stürze nicht: ich stürze bloß die Anschauung,
indem ich aus der Sprache mein festgebanntes Ich verlaute. Da ist sie ja: Die Sprache!
Erjag jedes Ja! Verfall ohne Angst auf jeden Einfall!
Halt! was sie hat! Schalte, wenn sie fabelnd schallt. Bloß dort, wo sie zerprallt — rasch halt!
*
Drohende Deutungen durchdämmern das Dunkel: Und ich versuche des Gefunkels blu»
tende Furchen in einem Schlund der Furcht zu verschlucken. Flimmerndes Feuer durch»
schwirrt die zerklüfteten Finsternisbrüche: Klaffende Rundungen mit schwellenden Lippen
erregen mich. Und die sehnen sich an meine Absichten heran, denn ich fing an, nach ihnen
auszuschaun! Ein silbernes Fiebern überrieselt meine Einbildung, daß ich fühle. Wuch»
tige Glutschnuppen schütteln ihren vollen Dunkelaussturz an Funkelblut über Saaten er»
wachter und wachsender Scharlachgarben. Die winzigen Verwirrungen meiner Einblicke in
meinen unbekannten Flammentanz wirbeln immer silberner in dieses empfindliche Finster»
nis »Vermissen. Schmerzenssterne stechen in meine skeptische Ansicht, daß man sich in
solchem Wirrwarr nimmer wieder finden wird. Nichtig wird es mir. Weh zu empfinden
und mich nicht selbst zu verlieren! Da schwirren wieder Liebe, weiche Leiden an meine
achtsame Hartnäckigkeit, nicht verwehn zu wollen, heran! Stets wilder, stets weiblicher
wird dieses Wippen wechselnder Firlefanzer. Was klärt sich da? Mein schwächster Wille
beschattet eine kalte Gestalt, die mich aber in mich selbst zurück winkt. Kann ich noch
wachsam bleiben? Ich möchte sie erfassen, doch andre Erscheinungen erschimmern sich
und sie: Sie selbst verbleicht. Aus aller Nacht, als wäre es aus Wand auf Wand, langt
eine wachsende Gewalt in meinen Angstkreis. Ganz kalt und immer schmerzlicher und
silberner umringeln mich die Greifgebärden blasser Flammenquallen und Betastungs»