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Franziska.
Ein modernes Mysterium von Frank Wedekind.
1.
Ich möchte behaupten, daß hier All- und Endergebnis —
das heißt: die reifen Früchte der Wedekind'schen Wande
rungen durch Nacht und Teufelei aufgestapelt liegen. Aber
nicht nur diese, sondern, was uns so herrlich berührt, — all
das Holde, Zarte, bisher Verschlossene Frank Wedekinds
lugt ganz leis durch eine angelehnte Tür.
2.
Lulu und Wendla und Gräfin Geschwitz und von all
den andern ein Stück — das ist Franziska; aber doch noch
ganz anders und überraschend. Dies Weib, das in der
seltsamen Verästelung ihrer Seele keinen andern Trost weiß,
als Unnormalheit der erotischen Empfindung herauszubilden
— eine Unnormalheit, die im Grunde so schlimm oder so
wenig schlimm ist, wie das Doppelgeschlechttum einer jeden
Frau; dies Weib, das nach aller Wirrnis am Ende so hold
einem Manne entgegenblüht, ist wert zu leben. Schon um
der heiligen Liebe willen, die der Dichter zu ihr emp
findet. — 5
3.
„Franziska“ ist kein Drama — wenngleich Mitleid und
Furcht darin sehr lebendig werden. Es ist ein Wandelbild,
eine Szenenfolge, durch die wie Efeugerank die Legende
von der Zweiheit allen Seins sich schlingt; Asche, unter
der ein herrlich holdes Feuer glimmt. Jene Szene, die ich
immer wieder aufs Neu im Sinn habe, die Liebesszene
zwischen Franziska und Veit Kunz am Dach, steht ganz
hoch und unerreichbar über dem Schlinggewächs von Per
versität und letzter Weisheit. Die keifenden Stimmen der
Fanatik und Ketzerei sind tot — hier ist Religion in hol
dester Form.
4.
Noch einmal —: Hier wird Wedekind ganz unser. —
Friedrich Hollaender.