Full text: Neue Jugend (1-5;7-11/12)

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Franziska. 
Ein modernes Mysterium von Frank Wedekind. 
1. 
Ich möchte behaupten, daß hier All- und Endergebnis — 
das heißt: die reifen Früchte der Wedekind'schen Wande 
rungen durch Nacht und Teufelei aufgestapelt liegen. Aber 
nicht nur diese, sondern, was uns so herrlich berührt, — all 
das Holde, Zarte, bisher Verschlossene Frank Wedekinds 
lugt ganz leis durch eine angelehnte Tür. 
2. 
Lulu und Wendla und Gräfin Geschwitz und von all 
den andern ein Stück — das ist Franziska; aber doch noch 
ganz anders und überraschend. Dies Weib, das in der 
seltsamen Verästelung ihrer Seele keinen andern Trost weiß, 
als Unnormalheit der erotischen Empfindung herauszubilden 
— eine Unnormalheit, die im Grunde so schlimm oder so 
wenig schlimm ist, wie das Doppelgeschlechttum einer jeden 
Frau; dies Weib, das nach aller Wirrnis am Ende so hold 
einem Manne entgegenblüht, ist wert zu leben. Schon um 
der heiligen Liebe willen, die der Dichter zu ihr emp 
findet. — 5 
3. 
„Franziska“ ist kein Drama — wenngleich Mitleid und 
Furcht darin sehr lebendig werden. Es ist ein Wandelbild, 
eine Szenenfolge, durch die wie Efeugerank die Legende 
von der Zweiheit allen Seins sich schlingt; Asche, unter 
der ein herrlich holdes Feuer glimmt. Jene Szene, die ich 
immer wieder aufs Neu im Sinn habe, die Liebesszene 
zwischen Franziska und Veit Kunz am Dach, steht ganz 
hoch und unerreichbar über dem Schlinggewächs von Per 
versität und letzter Weisheit. Die keifenden Stimmen der 
Fanatik und Ketzerei sind tot — hier ist Religion in hol 
dester Form. 
4. 
Noch einmal —: Hier wird Wedekind ganz unser. — 
Friedrich Hollaender.
	        
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