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staltet. Und daß das Einwirken der ersten unklaren Ge
schlechtsregungen sowie die in jenen Zeiten besonders star
ken ausschlaggebenden Schulpflichten, von denen Moritz sehr
abhängig ist, schließlich den wirklich tief veranlagten, aber
ohne die nötige Leitung in rein menschlichen Dingen auf
gewachsenen Knaben in den Tod treiben, ist erschütternd
unabänderlich. Und wie rührend ist seine jedem jungen
Menschen schmerzliche und doch wieder aufbäumende Re
signation vor seinem Tode: „Es hat etwas Beschämendes,
Mensch gewesen zu sein, ohne das Menschlichste kennen
gelernt zu haben.“
Weniger stark Umrissen scheint mir die Gestalt Melchiors.
Dieser frivole, glänzend talentierte Junge, der selbst die Ge
schlechtsregungen nicht so intensiv und tief empfindet wie
der in seiner Art viel sensiblere Moritz, sondern sich über
sie, mit dem Bestreben, sie möglichst auszukosten, hinweg
setzt; ist gleichsam verkürzt gesehen, etwas schief.
Die Ansicht, daß sich ein Jüngling, und zwar ein be
gabter, in dieser Weise über die Probleme seines Lebens
alters hinwegsetzen kann, und sie ohne tiefere innere Kämpfe
hinter sich wirft, ist zwar sehr idealistisch (Typus des
blondäugigen Siegfried + schnoddrigem Tauentzien-Schieber)
aber . . . aber (: . . Nur die Art, wie er Wendla in Besitz
nimmt und nachher doch nicht für die Folgen einer augen
blicklichen Laune mit dem Leben büßen will, das ist nur
zu wahr. — *
Und, wie wunderbar zart und feinfühlig die ersten Szenen
— die Gespräche zwischen Melchior und Moritz — im Walde
sind! Melchior zunächst überlegen, geistreich, dann natür
licher, schließlich voller Scham, die er hinter altklugen
Redensarten zu verstecken sucht, Moritz von Anfang an
schüchtern, schamhaft. Hier zieht ein Dichter ganz zart
und fein die letzten Hüllen von scheuen und verängsteten
Knabenseelen
Ich bin nicht alt genug, um Wendla verstehen zu können.
Das können nur junge Mädchen (aber keine teutschen) und
an ihnen ist es, ihre Gedanken und Empfindungen darüber
^auszusprechen.
Frühlingserwachen hat die schönsten und tiefsten Ge
stalten aller Wedekindschen Dramen.
Ernst Reich.