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seits. Beide Formen sind eben entwickelt aus dem für uns
typischen Formwillen der Zeit. Noch liebt die Menschheit, die
immer in veralteten Formen denkt, die Form der Zeit nicht, während
sich gleichzeitig, aber unbemerkt durch die Allgemeinheit, und nur
von wenigen begabten Kunsthistorikern erkannt, der neue Stil her
ausbildet. Später wird er einmal allgemein werden, und dann wird
man uns alle aus unsern Verstecken herausholen, vielleicht erst dann,
wenn die Zukunft schon längst andere Bedürfnisse haben wird, denn
das Schicksal der Menschheit im Allgemeinen ist es zu irren,
und man soll sie gewähren lassen, denn sie fühlt sich wohl dabei.
Heute noch gibt es nicht viele Leute, die gern in jenen schmucklosen,
von innen heraus gestalteten Häusern wohnen, man zieht allgemein
die alten, überladenen, barocken Häuser vor, weil man auch etwas
für die Schönheit tun möchte. Erst eine spätere Zeit wird erkennen
können, daß gerade diese schmucklosen Häuser, wenn sie von einem
begabten Architekten, etwa Haesler, gebaut sind, nicht nur allen
Erfordernissen der Bequemlichkeit und der Gesundheitspflege ent
sprechen, nicht nur technisch die besten Lösungen sind, sondern auch
optisch die schönsten Formen. Relativ leicht findet die neue Typo
graphie allgemeineres Verständnis. Zwar liebt man nicht die ein
facheren Formen, aber man heißt sie gut, wenn sie verbunden sind
mit einer intensiveren Verdeutlichung des Inhalts, welches der Haupt
zweck neuer Typographie ist. Allgemein beginnt man sie mehr und
mehr zu schätzen, weil sie leichter orientiert, besser wirbt, Zeit und
Geld spart.
Und nun zurück zu der heutigen Jugend und dem Menschen
überhaupt. Ich bitte Euch Alle, laßt mich in meiner Verborgenheit
weiter blühen. Es geht mir dabei ganz gut, und ich strebe nicht
nach Ruhm und Ehre, oder nach Eurer Anerkennung. Ich bin zu
frieden, wenn ich in meinem Atelier oder an meinem Schreibtisch
ungestört und in aller Ruhe, vom Lärm der Straße nicht berührt und
ohne Nahrungssorgen, weiter arbeiten kann. Dazu verhilft mir aber
meine Tätigkeit als typographischer Gestalter und Berater bei zahl
reichen Behörden und Fabriken, wo ich im Jahre mehr als 500 Druck
sachen bearbeite. Mir kann Keiner und Ihr könnt mir Alle,
zumal da ich auch glücklich verheiratet bin; und ständig wächst die
Anerkennung meiner typographischen Tätigkeit. Und allmählich
kenne ich mich auf dem außerordentlich komplizierten und viel
seitigen Gebiet des Drückens etwas aus.
Anders die Kunst, denn erstens kennt sich da keiner aus, denn
das Gebiet ist noch bedeutend komplizierter, und zweitens fehlt mir
persönlich die Anerkennung. Es bleibt bei schlechten Kritiken, weil
sich die Kritiker in ihrem Wesen stets gleich bleiben. Und
wenn ein junger Kritiker bei meinem eigenen Vortrag schreibt, ich
wäre einfach unmöglich, so ist mir das vollkommen gleichgültig,
ebenso gleichgültig, als wenn er schriebe, ich wäre der beste Sprecher
der Gegenwart, eine Behauptung, die zwar auch nicht ganz stimmt,
mit der er sich persönlich aber bestimmt weniger blamiert hätte.
Meine Zeit wird kommen, das weiß ich, und dann werden später
dieselben Kritiker schreiben: „Wie dumm waren doch früher die
Menschen, als sie Schwitters nicht erkannten, hingegen wie gescheit
sind wir, daß wir ihn jetzt erkennen". Ich habe zv/ar nicht die Ab
sicht, Leute zu beleidigen, die noch garnicht geboren sind, aber ich
weiß es schon jetzt, daß sie, soweit sie Kritiker sind, genau so harmlos
sein und genau so wenig erkennen werden, wie ihre augenblicklichen
Kollegen, denn das ist allgemein menschlich, und dazu kann keiner
etwas; nur sollen sie sich dann nicht auf spielen. Wenn Ihr
Menschen der Zukunft aber mir eine besondere Freude machen wollt,
so versucht es die wichtigen Künstler Eurer Zeit zu erkennen. Es
ist für Euch wichtiger und für mich eine größere Freude, als wenn
Ihr mich entdeckt zu einer Zeit, in der man mich schon längst
entdeckt hat.
Ihr aber, Ihr politischen Menschen von rechts oder links, oder Ihr
mittlere Sorte, oder aus welchem blutigen Heerlager des Geistes Ihr
kommen mögt, wenn Ihr eines Tages mal die Politik recht satt
habt, oder Euch auch nur für einen Abend von Euren Strapazen
ausruhen wollt, so kommt zur Kunst, zur reinen unpolitischen
Kunst, die ohne Tendenz ist, nicht sozial, nicht national, nicht
zeitlich gebunden, nicht modisch. Sie kann Euch erquicken und
sie wird es gerne tun. 27. 12. 1930.
Subskribieren Sie auf das folgende MERZ-HEFT, 22:
Entwicklung, Preis 3 RM, es erscheint Anfang 1932.