Volltext: Schutzhaft : Erlebnisse vom 7.-20. März 1919 bei den Berliner Ordnungstruppen (2)

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denn der Raum neben der Pritsche war so schmal, daß man 
sich darin nicht anders als seitwärts bewegen, also keinen 
Schritt gehen konnte. Durch höfliches Bitten gelang es uns 
am Mittwoch endlich, die Käfige verlassen zu dürfen und uns 
in dem Saal, worin sie sich befanden, gemeinschaftlich aufzu 
halten. Im Übrigen waren, wie gesagt, die Mißhandlungen beim 
Einsperren in die Käfige die letzten, welche uns widerfuhren, 
und allmählich fühlten wir uns geborgen. Aber nun begann 
ein neues Elend: der Hunger. Begreiflicherweise war für solche 
Massen kein Proviant vorhanden. Unbegreiflicherweise emp 
fangen die Freiwilligen, laut eigner Aussage, geradezu üppige 
Lebensmittelrationen, vor allem Butter, Fleisch und Wurst. 
Für uns, die wir bereits ausgehungert ankamen, fuhren in aller 
Eile einige Autos mit total schimmligen Kohlrüben vor, welche 
nun unsere Nahrung darstellten. Sie wurden in Wasser, nur 
sehr schlecht gereinigt, gekocht und waren selbst für die 
Heißhungrigsten kaum genießbar. Lediglich morgens erhielten 
wir 250 bis 300 gr Brot, welches tatsächlich die einzige in Be 
tracht kommende Nahrung darstellte. Wir empfanden den 
Mangel an Nahrung um so schlimmer, als die Eintönigkeit der 
Haft dauernd an Essen denken läßt, wir außerdem aus Mangel 
an Bewegung Tag und Nacht froren. Als wir nach mehreren 
Tagen V* Stunde im Gänsemarsch den Hof durchgingen, waren 
große Schwäche und Kopfschmerzen die Folge. Erst nach Ver 
lauf einer Woche, nach wiederholten Beschwerden unsererseits, 
besserte sich das Essen insofern, als zwischen den Rüben und dem 
noch abscheulicheren, ganz sauren Dörrgemüse einige Kartoffeln 
verkocht wurden, allerdings schmutzig und ungeschält. Einmal 
bekamen wir im Verlaufe der ersten Woche dünne Graupensuppe, 
im Laufe der zweiten Woche bekamen wir dicker», auch Gries 
und Haferflocken je einmal, wenn auch sehr wässerig. 
Unsere Stimmung war so lange sehr gedrückt, als keinerlei 
Nahrungsmittel von den Angehörigen eintrafen. Zwar hatten 
einige den Aufenthaltsort ihrer Verhafteten entdeckt, müßten 
aber mit ihren Lebensmitteln unverrichteter Dinge wieder nach 
Hause gehen, ohne uns gesprochen zu haben. Erst am Sams 
tag, den 15., wurden zum ersten Mal Lebensmittel Angehöriger 
angenommen und verabfolgt. Solange fehlte auch jede Zeitung. 
Und doch hatten wir in den Käfigsälen noch einigermaßen Glück. 
Ein großer Teil des Transportes wurde nämlich in Einzelzellen 
untergebracht und erst am Donnerstag, den 20. März, als durch, 
genügend Entlassungen für sie Platz geschaffen worden war, 
in unseren gemeinsamen Käfigsälen untergebracht. Herr S. ver 
brachte die erste Nacht unverbunden, blutüberströmt, stöhnend
	        
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