Full text: Schutzhaft : Erlebnisse vom 7.-20. März 1919 bei den Berliner Ordnungstruppen (2)

in seinem Käfig. Er ist zuversichtlicher Stimmung, sagt aller 
dings, er sei überzeugt, wenn ihm noch ein Transport bevor 
stehe, totgeschlagen zu werden. 
Am 20. März wurde ich entlassen. Wenn S. inzwischen 
nicht frei gekommen sein sollte, befindet er sich noch immer 
dort, trotz seiner ernsthaften Krankheit. Als ich Abschied von 
ihm nahm, trug er noch sein von Blut gestärktes Hemd. Vom 
Schicksal seiner Frau erfuhr er erst am 19. März. Sie war am 
16. März aus der Haft entlassen worden. 
Lesestoff erhielten wir erst nach etwa achttägigem Auf 
enthalt im Gefängnis. Uns war das Rauchen nicht verboten 
(solange wir was hatten), den Mitverhafteten in den Einzelzellen 
aber strengstens. Verhöre wurden angestellt, auch Entlassungen 
kamen vor. — Ich selbst hatte noch einmal mein Protokoll zu 
wiederholen. Entlassen wurde ich ohne jede Auseinandersetzung 
mit Richtern, plötzlich und unvermutet. Wie ich auf freiem Fuß 
dann erfuhr, war meine Entlassung vom Staatsanwalt bereits am 
Sonntag, den 16. März, angeordnet worden, konnte aber nicht aus 
geführt werden, da die Herren Offiziere sich den Verfügungen des 
Staatsanwalts einfach nicht unterordneten. — Zahlreiche Ge 
fangene, die lediglich irgendwelche kritische Äußerungen hatten 
fallen lassen oder überhaupt nicht wissen, warum sie eingesperrt 
sind, darunter eine Anzahl Jugendlicher, befanden sich zur Zeit 
meiner Entlassung noch in der Haft, völlig unterernährt und 
apathisch. Ein Teil des Gefängnispersonals drückte uns seine 
Entrüstung über diese Zustände aus. 
Nachschrift. 
Ich lege Wert darauf, in diesem Bericht ganz sachlich ge 
blieben zu sein. Zweck der Broschüre ist, das Wesen des Be 
griffes Ordnung zu entlarven. Erläuterungen erübrigen sich 
wohl, Folgerungen werden die Leser selbst zu ziehen wissen. 
Nur einige Fragen richte ich an die „gerettete Gesellschaft“: 
Sind die geschilderten Zustände auf Übergriffe und Aus 
nahmeerscheinungen zurückzuführen, oder trifft meine wie aller 
von mir befragten Mitgefangenen Überzeugung zu, daß System 
von oben herab sie verschulde? 
Glaubt jemand ernsthaft, daß durch eventuelle Verweise, 
Strafen usw., die auf Grund der durch Pressestimmen ver- 
anlaßten Untersuchungen vielleicht gegen Einzelne ergehen, 
der „Geist“, der die Freikorps „beseelt“, getroffen werden 
könnte? 
Kann ich auf Grund des von 1914 amtlich übernommenen 
Erfolg-Gesetzes „Not kennt kein Gebot“ nun dieser Broschüre 
wegen wieder verhaftet werden? es wäre sinnlos, denn ich 
würde durch keinen Fluchtversuch meine eventuelle Verhaftung 
lohnend machen, auch nicht im Tiergarten. 
Wieland Herzfelde. 
Buchdruckerei Otto Hellwig, Berlin-Wilmersdorf, Uhlandstraße 61.
	        
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