Volltext: Der Sturm (13 (1922), 4)

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Herr StahFpersönlich soll Kunstschriftsteller 
sein, wie mir neulich ein Herr in London 
gesagt hat, der es von einem Herrn aus 
Heidelberg gehört hat. 
DasdBerliner Tageblatt hat auch eine ständige 
Rubrik für Geisteskrankheiten. Rubrik ist 
vielleicht übertrieben. Denn die betreffen 
den Artikel von Psychiatern und anderen 
Ungeistigen erscheinen durchschnittlich nur 
aller drei Monate. Die Geisteskrankheit dieser 
Psychiater besteht darin, dass sie die zeit 
genössische Kunst für eine Ausgeburt ihrer 
psychiatrischen Phantasie halten. Ausser 
Herrn Fritz Stahl dürfen im Rerliner Tage 
blatt sich nur Psychiater über die Kunst 
äussern. Ich vermute daher, dass Psychiater 
auf deutsch Kunstkritiker heisst, während 
Herr Stahl nach meinen obigen Feststellungen 
Kunstschriftsteller ist. Das Rerliner Tage 
blatt druckt seinen Text gewöhnlich. Nur 
ein einziger Satz im Text ist jemals halb 
fett gedruckt worden, weil er ein fetter 
Bissen für den hungrigen Stahl gewesen 
ist. Dieser halbfette Satz heisst: „Eine vor 
kurzem veranstaltete Ausstellung in Heidel 
berg hat gezeigt, wie nahe gerade die irren 
Künstler manchen modernen Malern in 
Linienführung und Farbenstil kommen. 
Die schöpferische Kräftesteigerung ist eben 
in gewissem Sinne nicht normal“. Da haben 
wir den Salat zu dem halbfetten Bissen. 
Was ist normal? Eine Kritik des Herrn 
Stahl, die ohne schöpferische Kräftesteige 
rung erfolgt. Oder ist die schöpferische 
Kräftesteigerung normal, die einen Normalen 
aus dem Häusschen bringt. Oder ist das 
Häusschen normal, in dem der Psychiater 
Kunst analysiert. Oder ist die Kunst normal, 
die sich von einem Psychiater behandeln 
lässt. Oder ist das Berliner Tageblatt nor 
mal, dass solchen Unsinn halbfett druckt, 
Wahnsinn für normal und schöpferische 
Kräftesteigerung für anormal hält. 
Herr Stahl soll übrigens zum Ehrendoktor 
der Psychiatrie ernannt worden sein, wie 
ich aus einem Brief weiss, der einem Irren 
in Heidelberg nicht ausgeliefert wurde. 
* 
Im Verlag der Freiheit ist ein Herr für 
Kunst angestellt, der eine Ausstellung des 
Sturm in Antwerpen bespricht, ohne sie 
gesehen zu haben. Das war bisher das 
Vorrecht der bürgerlichen Zeitungen. Ich 
stelle fest, dass dies jetzt auch in dem Ber 
liner Organ der U. S. P. gestattet ist. Die 
ser Herr weiss zunächst nicht, dass es sich 
um eine graphische Ausstellung handelt. 
Dieser Herr kann nicht wissen, welches 
Material für Ausstellungen dem Sturm je 
weilig zur Verfügung steht. Dieser Herr kann 
nicht wissen, was tatsächlich in Antwerpen 
zur Ausstellung gelangt ist, da er im güns 
tigsten Falle einen Katalog der Ausstellung 
besitzt, der sich bekanntlich in keiner Aus 
stellung mit den ausgestellten Werken völlig 
deckt. Dieser Herr weiss aber ganz genau, 
dass der Sturm keine Organisation deutscher 
Künstler, wohl aber eine internationale 
Organisation ist. Ich weise die Behauptungen 
dieses Herrn mit ihren Ausführungen und 
ihren Folgerungen als dolos zurück. 
Herwarth Waiden 
Druckfehler ✓ Berichtigung Heft 3 
Seite 34 letzte Zeile: dans un carrosse 
Seite 45 Überschrift: Inquietudes somnolentes 
Seite 45 1. Spalte, dritte Zeile von unten: 
Scies asphyxiantes-serpents ä 
Seite 48 Überschrift: La vraie jeune France 
Inhalt 
Herwarth Waiden: Shimmy 
F. T. Marinetti. Der Mietsvertrag 
F. T. Marinetti: Jetzt kommen sie 
Willi Knobloch: Gedichte 
Claire Goll: Unschlaflied 
Franz Richard Behrens: Jeder Tod ist leicht 
Herwarth Waiden: Gedichte 
G. Ribemont-Dessaignes: Dada'isme 
Rudolf Blümner: Musique (Musik) 
Herwarth Waiden: Kunst in der Presse 
Oscar Nerlinger: Zeichnung 
Michael Larionoff: Ornement architectural 
Gontscharowa: Spanische Tänzerin 
Gontscharowa: Dekorationsskizze zu dem Ballet „Le Coq d’Or“ 
April 1922
	        
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