Volltext: Der Sturm (13 (1922), 5)

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Wer schreibt das Lehrbuch 
der Deutschen? 
Das Berliner Tageblatt hat ausser den 
Dichtern Dr. Ludwig Fulda und Doktor 
Hanns Heinz Ewers den Dichter Herrn 
Walter von Molo entdeckt. Das deutsche 
Volk wird durch das Berliner Tageblatt 
aber auch davon unterrichtet, was für Den 
ker unsere deutschen Tageblattdichter sind. 
Und die Redaktion dieses Kulturorgans, die 
bekanntlich schwer unter Papier- und 
Raummangel leidet, gewährt Herrn Walter 
von Molo anderthalb Spalten mit Ein 
schränkung gern Raum: „Wir geben dem 
von schöner Volksliebe durchwärmten Auf 
satz des Dichters Walter von Molo gern 
Raum, obgleich er unserer Meinung nach 
geistige Erscheinungen, die sich gewiss in 
erschreckendem Masse bemerkbar gemacht 
haben, allzu bedingunglos verallgemeinert“. 
Die geistigen Erscheinungen machen sich 
mit Hilfe des Tageblatts allerdings in er 
schreckender Weise bemerkbar. Sie wer 
den ganz einfach durch Druck sichtbar. 
Nicht einmal das Rücken der Redaktions 
tische ist dazu notwendig. Der durch 
wärmte Aufsatz heisst: Ich kann nicht mehr 
schweigen! (Dabei dichtet der Mann nie 
unter drei Bänden). Und die schöne Volks 
liebe beginnt: „Ich sage es ungern, aber es 
muss sein: Unser Volk ist geistig umnachtet!“ 
Mit Ausschluss der Mitglieder und Leser 
des Berliner Tageblatts. Oder sollten etwa 
da auch geistige Erscheinungen sein, die 
sich in erschreckendem Masse bemerkbar 
machen. Denker müssen beweisen. Herr 
Walter von Molo schreibt also in dem 
durchwärmten Aufsatz: „Ich will einen Be 
weis dafür, leider gibt es dafür tausende 
von Beweisen, aus meinem persönlichen 
Arbeitsgebiete erbringen: dazu muss ich 
aber einen Satz lang erst von mir reden.“ 
Er redet zwar zehn Druckzeilen von sich, 
aber die geistige Umnachtung ist wichtig 
genug. Herr Dichter von Molo hat eine 
Roman-Triologie geschrieben, wirklich eine 
Triologie, nicht zwo, sondern drei Bände, 
vaschtehste. Es heist „Ein Volk wacht auf“. 
Ich habe das Buch nicht gelesen, erfahre 
aber aus dem durchwärmten Aufsatz, dass 
das Buch geradezu erschütternde Gedanken 
enthält, was man im Berliner Tageblatt 
für Dichtung hält. Herr von Molo hat näm 
lich entdeckt, dass immer und überall 
Lumpen und Menschen waren, wobei er 
unter Lumpen nicht die bekannten Stoffreste, 
sondern Menschen versteht. Herr Denker 
von Molo hat ferner entdeckt, „dass immer 
und überall gesucht, geirrt und vergänglich 
gefunden wurde und wird,“ (Auflage 50000) 
dass es nur eins gibt, nicht etwa die Kuh 
in der Tüte, sondern „das Licht im Auge zu 
haben und unbekümmert, auf kürzestem 
möglichen Wege, guten reinen Menschheits 
willens voll (Durchwärmung) unrechtha 
berisch und einig darauf loszugehen, in 
der Gewissheit: wir sind!“ Und Herr Denker 
von Molo ist so bescheiden, diese seine 
Gedanken (wach auf, mein Volk, auch 
wenn er Dich für geistig umnachtet hält) 
eine „Binsenweisheit, die dem Deutschen 
so fern ist“, zu nennen. Eigentlich kann 
man nichts mehr reden. Heiss mich 
schweigen. Aber er kann doch nicht 
schweigen. Dieses verfluchte Volk muss 
doch endlich die Binsenwahrheit fassen 
können. 
Was ist ihm nun eigentlich geschehn, 
dem Denker - Dichter oder dem Volke? 
Fest steht: ein Dreiband ist erschienen. 
Hierauf hat das deutsche Volk in einigen 
erlesenen Exemplaren persönlich Briefe
	        
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