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10 Minuten vor 12.
Der Pflastertreter, Der Wachtposten. Nachts! Die undeutlichen Umrisse eines historischen Gebäudes.
Der Pflastertreter (tippelt auf und ab und wieder
holt fortwährend): Noch zehn Minuten! Noch
zehn Minuten!
(Schritte. Ein Wachtposten.)
Der Pflastertreter (sieht nach der Uhr): Noch
zehn Minuten! Es muß doch anders werden. Es
muß doch mal anders werden!
Der Wachtposten (macht Halt, gähnt, geht weiter,
macht Halt, dann): Keene Bleibe, wa?
Der Pflastertreter: Es muß doch mal anders
werden. Noch zehn Minuten! Noch zehn Minuten!
Der Wachtposten: Sie, wat heißt’n das: ’s muß mal
anders wern?
Der Pflastertreter: Jo! —jo —!
Der Wachtposten: Sie! Was das heißt: was soll’n
anders wern??
Der Pflastertreter: Was ’s heißt? Ach, dis heißt
garnichts. Ich meine nur so. ’s muß doch mal
anders werden, ’s muß doch anders werden. Noch
zehn Minuten.
Der Wachtposten (einen Schritt näher): Bist woll
’n Spartakiste?
Der Pflastertreter (einen Satz zurück): Ach nö, nö.
Ich meine nur so. ’s muß doch mal anders werden,
’s muß doch mal anders werden. Noch zehn
Minuten!
Der Wachtposten: Alte Pflaume, mach bloß halb
lang! Du Ar . . . ml . . . euchter! Du!
Der Pflastertreter (Hände in die Taschen gestemmt):
Noch zehn Minuten! Zehn Minuten!
Der Wachtposten: Mensch!! (Beherrscht sich.)
Hab’n Sie überhaupt Ausweise? Wo wollen Sie
hin? Wo Sie hinwollen?? (Packt ihn.)
Der Pflastertreter (macht sich los, reibt sich den
Arm): Wo ’ch hinwill? Ich wollt’ ’n bischen zur
alten Freiheit!
Der Wachtposten: Was für ’ne Freiheit?
Der PflastertreterNa zur Schloßfreiheit....
Der Wachtposten: Mensch!! (Beherrscht sich,
geht w r eiter.)
Der Pflastertreter (wdnselt oder lacht vor sich hin).
Der Wachtposten (macht kehrt, streng dienstlich):
Ihre Ausweise!
Der Pflastertreter.- ’n Ausweis? (Kramt in den
Taschen, zuckt die Achseln.)
Der Wachtposten.- kommste mit!
Der Pflastertreter: Nein!
Der Wachtposten: Nein? Was: nein? Warum hast
’n vorhin gelacht?
DerPflastertretenWarum ’ch gelacht hab’? Ich dachte
man . ., d. h. ’ch hab’ nur vor mich hingelacht.
Der Wachtposten: Vor dich hingelacht? So! Hier
gibts nischt zu denken. Mit dir wer’ ’ck Schlitten
fahr’n. Von wejen denken. Paß uff. Aus dir
mach’n wer Hackepeter von wejen denken
na sach’ doch wat, sach doch wat! Do . . Do . . .
kiek nich so dämlich (langt ihm eine!)
Der Pflastertreter (wischt Blut aus ’m Mund, zieht
die Uhr): Jetzt is gleich so weit, ’s is gleich zwelfe!
Der Wachtposten: Zeich mal. Wo hast’n die her?
Wo hast’n die jefunden? Meine Freß’! Bist ja
doch ’n Spartakiste, wa? Doch ’n Spartakiste, wa?
Meine Freß’! Meine Freß’!
Der Pflastertreter: Jetzt ....
(Es schlägt 12. ,,Prost-Neujahr“-Rufen.)
Der Wachtposten: Jibb her!
(Schuß! Schrei! DerWachtposten türmt. „Prost-Neu-
jahr“-Rufen! Dazwischen auch etwas Glockengeläute.
Vorhang. Licht an. Bitte Musik, Herr Kapellmeister):
’s wird wieder einmal Neujahr!
Der Mensch läßt sich verfiehr’n,
Herr Schulze denkt: Da kertn wa
’ne Pulle druff riskier’n!
Die Leute haben ebent
Sich das so vorgestellt!
’s muß doch mal anders werden
Auf Gottes schöner Welt.
Aber
Vastehste!
Das is die Kiste,
Bleib kalte immer der Alte, was de auch tust!
Mensch bedenke, daß de sterben mußt!
Der Deutsche hat — Prost Neujahr!
Revoluzion gemacht.
So was jeht nich gleich uff eenmal.
Na Mensch, das wär* jelacht.
Die Leute haben ebent
Sich das so vorgestellt!
’s muß doch mal anders werden
Auf Gottes schöner Welt.
Aber
Vastehste!
Das is die Kiste,
Bleib kalte immer der Alte, was de auch tust!
Mensch bedenke, daß de sterben mußt!
(Zugabe)
’s is ja nur einmal Neujahr!
Der Mensch läßt sich verfiehr’n,
Und Schulze denkt: da kenn wa
’ne Pulle druff riskier’n.
Die Mächens haben ebent
So schön sich’s vorgestellt.
Das wird nie anders werden
Auf Gottes schönster Welt.
Aber
Vastehste!
Das is die Kiste!
Bleib kalte immer der Alte, was de auch tust!
Mensch bedenke, daß de sterben mußt!
Walter Mehring.