Volltext: Der Marstall : Zeit- und Streit-Schrift des Verlages Paul Steegemann (1/2)

34 
den Führern der kubistischen Richtung, zusammengewesen 
und von der Notwendigkeit einer Abkehr von der naturalisti 
schen Auffassung in jeder Form durchaus überzeugt. Tristan 
Tzara, jene romantisch-internationale Type, deren propagandi 
stischem Eifer wir eigentlich die ungeheuere Verbreitung des 
Dadaismus zu verdanke# haben, brachte aus Rumänien eine 
unbegrenzte literarische Versiertheit mit. Abstrakte Kunst be 
deutete uns damals, als wir allabendlich im Cabaret Voltaire 
tanzten, sangen und rezitierten, soviel als unbedingte Ehrlich 
keit. Naturalismus war psychologisches Eingehen auf die Mo 
tive des Bürgers, in dem wir unseren Todfeind sahen und 
psychologisches Eingehen brachte, mochte man sich auch da 
gegen sträuben, eine Identifikation mit den verschiedenen bour 
geoisen Moralen mit sich. Archipenko, den wir als unerreichtes 
Vorbild in der plastischen Kunst verehrten, behauptete, die 
Kunst dürfe weder realistisch noch idealistisch sein, sie müsse 
wahr sein, womit vor allen Dingen gesagt sein sollte, daß jede, 
auch versteckte Imitation der Natur eine Lüge sei. Dada sollte 
der Wahrheit in diesem Sinne einen neuen Stoß geben. Dada 
sollte der Sammelpunkt abstrakter Energien und eine ständige 
Fronde der internationalen großen Kunstbewegungen sein. Durch 
Vermittlung von Tzara standen wir auch in Beziehung zur 
futuristischen Bewegung und unterhielten einen Briefwechsel 
mit Marinetti. Boccioni war damals schon gefallen. Wir kannten 
aber alle sein dickes theoretisches Buch „Pittura e scultura 
futuriste“. Wir fanden Marinettis Weltauffassung realistisch und 
liebten sie nicht, obwohl wir den von ihm sooft verwendeten 
Begriff der Simultaneität gern übernahmen. Tzara ließ zum 
erstenmal Gedichte gleichzeitig auf der Bühne sprechen und 
hatte damit großen Erfolg, obwohl das poeme simultane in 
Frankreich schon von Dereme und anderen bekanntgemacht 
worden war. Von Marinetti übernahmen wir auch den Bruitis- 
mus, le concert bruitiste, das, seligen Angedenkens beim ersten 
Auftreten der Futuristen in Mailand, als Reveil de la capitale 
so ungeheueres Aufsehen erregt hatte. 
Die Literaturgeschichte ist eine groteske Imitation des Welt 
geschehens, und ein Napoleon unter Literaten ist die tragiko 
mischste Persönlichkeit, die man sich denken kann. 
Der Literaturmakler ist nicht die unglücklichste Figur, die die 
Internationale des Geistes geschaffen hat. Wieviel befreiende 
Ehrlichkeit und anständige Schamlosigkeit liegt darin, die Litera 
tur als einen Handel aufzufassen. Die Literaten haben ihre
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.