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den Führern der kubistischen Richtung, zusammengewesen
und von der Notwendigkeit einer Abkehr von der naturalisti
schen Auffassung in jeder Form durchaus überzeugt. Tristan
Tzara, jene romantisch-internationale Type, deren propagandi
stischem Eifer wir eigentlich die ungeheuere Verbreitung des
Dadaismus zu verdanke# haben, brachte aus Rumänien eine
unbegrenzte literarische Versiertheit mit. Abstrakte Kunst be
deutete uns damals, als wir allabendlich im Cabaret Voltaire
tanzten, sangen und rezitierten, soviel als unbedingte Ehrlich
keit. Naturalismus war psychologisches Eingehen auf die Mo
tive des Bürgers, in dem wir unseren Todfeind sahen und
psychologisches Eingehen brachte, mochte man sich auch da
gegen sträuben, eine Identifikation mit den verschiedenen bour
geoisen Moralen mit sich. Archipenko, den wir als unerreichtes
Vorbild in der plastischen Kunst verehrten, behauptete, die
Kunst dürfe weder realistisch noch idealistisch sein, sie müsse
wahr sein, womit vor allen Dingen gesagt sein sollte, daß jede,
auch versteckte Imitation der Natur eine Lüge sei. Dada sollte
der Wahrheit in diesem Sinne einen neuen Stoß geben. Dada
sollte der Sammelpunkt abstrakter Energien und eine ständige
Fronde der internationalen großen Kunstbewegungen sein. Durch
Vermittlung von Tzara standen wir auch in Beziehung zur
futuristischen Bewegung und unterhielten einen Briefwechsel
mit Marinetti. Boccioni war damals schon gefallen. Wir kannten
aber alle sein dickes theoretisches Buch „Pittura e scultura
futuriste“. Wir fanden Marinettis Weltauffassung realistisch und
liebten sie nicht, obwohl wir den von ihm sooft verwendeten
Begriff der Simultaneität gern übernahmen. Tzara ließ zum
erstenmal Gedichte gleichzeitig auf der Bühne sprechen und
hatte damit großen Erfolg, obwohl das poeme simultane in
Frankreich schon von Dereme und anderen bekanntgemacht
worden war. Von Marinetti übernahmen wir auch den Bruitis-
mus, le concert bruitiste, das, seligen Angedenkens beim ersten
Auftreten der Futuristen in Mailand, als Reveil de la capitale
so ungeheueres Aufsehen erregt hatte.
Die Literaturgeschichte ist eine groteske Imitation des Welt
geschehens, und ein Napoleon unter Literaten ist die tragiko
mischste Persönlichkeit, die man sich denken kann.
Der Literaturmakler ist nicht die unglücklichste Figur, die die
Internationale des Geistes geschaffen hat. Wieviel befreiende
Ehrlichkeit und anständige Schamlosigkeit liegt darin, die Litera
tur als einen Handel aufzufassen. Die Literaten haben ihre