Volltext: Der Marstall : Zeit- und Streit-Schrift des Verlages Paul Steegemann (1/2)

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„Das Meer“: ein Liebesgefühl wächst zusammen mit der Wassernatur rings 
um den Ozeandampfer, Victor Curt Habichts von programmatischer Wucht 
und-Willensbewußtsein in der Gestaltung des Schicksals getragenen ägyptischen 
Novelle „Echnaton“ endet tragisch in der reine Sehnsucht, die Religion der all 
gemeinen Menschenliebe zu verwirklichen, an den natürlichen Widerständen 
und schließlich ganz Ekstase Robert Brendels „Große Hure“. Chaos 
erleben gebiert in biblischer Welt die Erkenntnis von der Liebe dessen, der 
da kommt im Namen des Herrn. 
Gläubigem Vertrauen zum Sinn des Seins entspricht auf der anderen Seite 
das heitere Sichhinausschwingen über alle materiellen Bindungen. Wohl 
selten hat eine Zeit so reiche und sinnvolle Grotesken geschaffen, wie die 
gegenwärtige. Sie hat das Vermögen, hinter die Grenzen des Bewußten zu 
dringen. In der Welt des Spuks mit der Freiheit wirklichen Humors bei Mynona: 
Seine Werke sind nicht um klappernder Erfindungen, um klirrenden Schellen 
klanges willen geschaffen, hinter der Spukwelt seiner Phantasie, hinter den 
grotesken Sprüngen seines Geistes erhebt sich eindeutig die Kunde vom wahren 
Menschentum. Seine tolle Spukgeschichte „Unterm Leichentuch“ ist 
eine meisterhafte Offenbarung sinnvoller Weltüberwindung. Eine Parodie auf 
Gustav Meyrink Mynona geht noch nicht so weit, wie die Dadaisten, er bleibt 
noch im Banne des Grauens, des Unheimlichen, des Erstaunens. Die Dada 
isten haben— aus Verzweiflung — hindurchgefunden zum fessellosen Lachen: 
Humbug ist ihnen das Menschsein, die Kunst, die Künstler, und sie sind doch 
Künstler, darum gerade Mensch, Künstler, wo sie ihren Humbug sarkastisch 
offenbaren: etwa in Kurt Schwitters Dichtungen „Anna Blume“. Entma- 
terialisiertes Lachen erschüttert hier das Irdische mit im All frei schwebender 
Heiterkeit. Fr. W. Wagners „Grotesken“, noch Christian Morgensterns be 
rühmten Versen hier und da nahe, sind voll lebenswiegenden Gelächters. 
Erschütternder Schönheit und Gefühlseligkeit voll zeigt sich aller Expres 
sionismus, wo er ganz Ekstase, ganz Stimmung ist. Carl Hauptmann schreitet 
hier der Jugend voran mit drei Legenden „Lesseps“, „des Kaisers Lieb 
kosende“, „der schwingende Felsen von Tandil“, die letztgenannte 
die geschlossenste Komposition. Victor Curt Habicht gibt in einem drei- 
aktigen Mysterienspiel „der Triumph des Todes“ das Todeserleben des 
Krieges in seiner Kristallisation. Franz Weinrich zaubert in einem Gedicht 
„Himmlisches Manifest“ voll besonderen Sprachreichtum die Entwicklung 
der Zeit aus Kriegsmordsstimmung in „hafenfrohes“ Eingehen der Menschen in 
Gott an den Tag. Persönliche Lyrik offenbaren Kasimir Edschmid in be 
rauschenden, rauschvollen Liedern, Hymnen, Strophen, „Stehe von Lichtern 
gestreichelt“, die zu den schönsten und kühnsten Versen heutiger Dichtung 
zählen. Anton Schnacks Gedichte „Die Tausend Gelächter“ machen 
mit einem Sänger der Naturverlorenheit und einem Menschen bekannt, dessen 
Stimme bald über weite Räume schwingen wird. Berta Lasks „Stimmen“ 
enthüllen, wie das Allgefühl die Frauenseele vertieft und süßer macht. Rudolf 
Leonhard schreibt zarte, innige, keusch sinnliche „Briefe an Margit“ voll 
Leidenschaft, Wärme, Blut und Farbe. Neben ihm wirken Olafs formvollendete 
Verse des antiken Eros „der bekränzte Silen“, in denen die Knabenliebe 
auf seelisch vornehme Art besungen wird, ein wenig zu sehr als Silberstift 
zeichnung, bei aller Feinheit, die in ihnen lebendig ist. 
Doch nirgend eine Stimme, die zu töten unberechtigt wäre. Dichtung. Kunst 
wuchs hier aus dem Leben der Jugend.
	        
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