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die Kunst des alten Aegypten gegenüber. Die grosse Isis hat
mit der Venus von Milo nicht nur das Material nicht gemeinsam
und von Leonardo da Vincis Oelgemälden trennt die ägyptische
Vasenmalerei ein Wille, neben dem naturalistische Meisterwerke
als Spielzeug gelangen. Die Eroberung der Mittel hat in Wahrheit
nicht stattgefunden; sie ist lediglich die Erfindung jener Schwach
gehirne, welche die Kunst als eine manuelle Angelegenheit be
trachten und es bestenfalls bedauern, dass dem ägyptischen Vasen
brenner kein Raffael lebte, der ihm das Zeichnen hätte lernen
können. Was den düstern Aegypter von dem sinnenfreudigen
Santi scheidet, ist kein Exerzitium. Es ist eine Welt, vor der
dieser liebend auf den Knieen liegt und jener in wildem Schmerz;
die genommen dort zum Fetisch wird und verschmäht hier zur
Qual; deren Diesseits dort nicht jenes kennt, das ein Jenseits ist.
Aphrodite ist ein Leib, in dem der höchste irdische Wunsch
sich selbst erhört; die Isis ein Phantasma, zu dem der Ekel vor
dem Leben floh, um in der Angst vor den Gestirnen nicht zu
vergehen. Die Madonna, die abendländische Venus, in deren
mildem Lächeln die Sünde zu Gott heimfindet, hat zwar nicht
jene Erdnähe. Von dieser Sonnenhöhe aber ist sie immer noch
so weit entfernt, dass sie keine Mitte ist. Einsam geistert am
Eingang der katholischen Jahrhunderte die altägyptische Kunst
und alles, was Antike und Papsttum an Kunstwerten schufen,
findet in ihr kein Gleichnis. Es ist, als zöge ein halbes Jahr
tausend Menschenschmerz vor der allesumfassenden Liebe der
katholischen Kunst schweigend in die Historie sich zurück.
Der Naturalismus siegt ohne Kampf und nur der gewaltige
Erlösungsgedanke verhindert das Versanden der Entwicklung in
technischen Problemen, die, in der breiten Pracht des Cinque
cento zwar gelöst, von der tiefen Weihe des Sujets dennoch nicht
ganz gedeckt werden und über die Sixtinische Madonna eine
Glätte legen, die zu sehr von dieser Welt ist. Lediglich Miche
langelos Plastik erreicht eine Höhe, die über den kirchlichen
Himmel hinaus an den Geist rührt. Die spätere italienische
Kunst ist denn auch nur auf ihr technisches Rüstzeug gestellt
und tritt hinter Grünewald und Dürer ab. Dieser bringt in seine
unermesslich schweren Bilder den faustisch-deutschen Zug und
so seine ererbte Liebe zum Gegenstand auf ein Niveau, das die
bürgerlich-fromme Zufriedenheit der italienischen Faltenziseleure
hoch überragt. Und Grünewald vermag, was nur ein Deutscher
vermochte: er malte die grösste Kreuzigung, indem er dem gläu
bigen Schauder den persönlichen Schmerz des Gottsuchers verwob.
Damit gelangt er neben Rembrandt, dessen trotz allem welt-
schmerzzerissenes Hirn ihn alle Zeiten stellt; und das in den
„Schülern von Emaus" Christus einen Blick emportun lässt, der
in den höchsten Himmel will und aus der tiefsten Verzweiflung