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— Je grösser der Mann ist, desto strafbarer ist er, wenn
er die Fehler anderer ausplaudert, die er erkennt. Wenn Gott
die Heimlichkeiten der Menschen bekannt machte, so könnte die
Welt nicht bestehen.
— Ein Gelübde zu tun, ist eine grössere Sünde, als es zu
brechen.
— Ich habe immer gefunden, die sogenannten schlechten
Leute gewinnen, wenn man sie genauer kennen lernt, und die
guten verlieren.
— Manche Menschen äussern schon die Gabe, sich dumm
zu stellen, ehe sie klug sind. Mädchen haben diese Gabe sehr oft.
— Ich habe das schon oft bemerkt: die Leute von Profes
sion wissen oft das Beste nicht.
— Ich weiss, dass berühmte Schriftsteller, die aber im
Grunde seichte Köpfe waren (was sich in Deutschland leicht
beisammen findet), bei all ihrem Eigendünkel von den besten
Köpfen, die ich befragen konnte, für seichte Köpfe gehalten
worden sind.
— Ich möchte was darum geben, genau zu wissen, für
wen eigentlich die Taten getan worden sind, von denen man
öffentlich sagt, sie wären für das Vaterland getan
worden.
Wenn Heiraten Frieden stiften können, so sollte man den
Grossen die Vielweiberei erlauben.
— Man will wissen, dass im ganzen Lande seit fünfhun
dert Jahren niemand vor Freude gestorben ist.
Georg Christoph Lichtenberg
Bücherbesprechungen
Jakob Wassermann: Das Gänsemännchen. (S. Fischer, Verlag, Berlin.)
I.
Zuvor eine kleine Ouvertüre. Nirgends bisher wurde klar genug be
tont, welche Kluft zwischen der Prosadichtung unserer Tage und der vor
etwa zehn Jahren liegt. Ich sage das umso sicherer und eindeutiger, als
ich der letzte bin, der die Ahnen einfach verleugnen wollte. Steht nicht
noch über Sternheim Büchners „Lenz“ als heimlich verheissender Bethlehem-
Stern ? Kennzeichned bleibt für die radikale Umwälzung in der Hauptsache
dieser Tempowechsel ohne Gleichen, dieses Flitzen durch die Hirne, Schein-
werfermanöverieren über Sodom und Golgatha, dass uns heute schon eine
Zola-Trilogie (rein formell) wie ein vorsintflutlich-schwerfälliges Untier er
scheint. Und sind nicht sogar unsere Klassischen von 1900 bereits ein
wenig infiziert ? Da ist etwa Wassermann, Jakob . . Blättern wir erst einen
Augenblick in seinem „Alexander in Babylon“, von dem eine neubearbeitete
Ausgabe erschien. Was kann im November 1915 noch an solch einem
Historien-Schmöcker reizen ? Abgesehen von allerlei Stofflich-Aktuellem, das
man insgeheim, für sich, voll Schmuggler-Freude unterlegt. „ . . ihre Rauheit
war nicht kriegerisch, sondern glich der von Helfershelfern bei einer Schand