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und füllt seine Wohnungen mit Oeldrucken und Tombak-Zierat,
damit es sich glauben kann, es habe ein höheres Streben. Es
liest alles Wissenswürdige in der Zeitung und auch die Urteile
darüber, die seine Gedanken werden, weiss nun, was es zu
wissen hat, und meint, dass es vollkommen sei. Und selbst
wenn es Bücher liest, liest es nicht, um zu suchen, sondern um
zu finden. So spricht es denn oft wie ein Buch und in der Regel
wie die Zeitung, lebt einen Roman oder ein Schema und lässt
den Mund sprechen, wovon das Wort nichts weiss, und die
Hände darnach tun. Und so verfällt es sich selbst. Verwahrlost
bis ins kleinste Wort, erliegt es seinem letzten und begeht
dessen Tat.
Kultur und Krieg: Wort und Tat. Nach diesem Wort erst
kann diese Tat verschwinden. Erst wenn ihm, dessen Begriff
niemals war, der gegeben wird, der ganz anders ist, erst wenn
die Phrase, welche der Schwäche die Möglichkeit gibt, sich selbst
fortzuläugnen, dem Wort, das noch der Kraft Qual ist, gewichen,
erst wenn Kultur wirklich Moral geworden ist, wird jene Tat
nicht mehr geschehen. Sie geschah in Zeiten, da die Schuld der
Menschheit um vieles kleiner war, da ihr das Wort noch oft
Erlebnis wurde und Schauder. Wie sollte sie, da ein Blutgericht
ohnegleichen über einer Schuld wie nie zuvor waltet, einmal
nicht mehr geschehen? Kann die Läuterung, deren unsäglich
tiefe Pein nicht zu ermessen ist, um hier Läuterung zu sein,
erhofft werden? Siebzehn Monate hindurch schon werden Millionen
Menschen getötet. Aber in den Städten werden Schwänke gespielt.
Die Zeitungen hetzen. Die Kriegslieferanten werden Millionäre.
Das Volk weint und entbehrt. Der Wucher steigt. Die Priester
sind für den Mord und der Papst sagt den Journalisten, er sei
für den Frieden. Müsste er nicht, das Kreuz in der Faust, hin
ausschreiten und reden? Müsste das Volk nicht hinter ihm sich
scharen und ihm zu den Kanonen folgen? Müssten nicht die
Soldaten hinter dem Volk sich scharen und eine grosse schwarze
Prozession über die Schlachtfelder wanken? Müsste nicht eine
unsäglich tiefe Pein aufstöhnen und in die Knie brechen? Aber
der Papst sagt den Journalisten, er sei für den Frieden. Das
Volk, welches das Evangelium las, lässt die Priester in den
Kirchen für den Mord plädieren und in den Städten, die seines
Jammers voll sind, Schwänke spielen. Und die Soldaten schiessen.
Sie werden noch Monate, vielleicht Jahre hindurch Menschen
töten und getötet werden. Wenn sie aber nicht mehr schiessen
werden, werden sie den Frieden, der dann ausgebrochen sein
wird, auf dem Gewissen haben, und jenes Blut, das dereinst
über der unermesslichen Schuld dieses Friedens fliessen wird,
bis zum jüngsten Gericht.
Walter Serner