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Honore Daumier
Auf aller guten Malerei lastet es wie Tragik. Sie ist stets dort,
wo ein grosser Wille auf einem kleinen Weg sich verfängt.
Die Malerei, diese tragische Umgehung des Denkens, beweist
immer, was einer nicht sagen konnte, und manchmal, was ein
Gehirn litt. Sein Genialisches bricht sich in tausend Farben
und Formen und wird nicht rein. Die Verzweiflung hinter dem
Schaffen reckt denn auch nirgendwo so machtvoll sich auf und
schlug sie schon im Werk nieder, so gibt es einen wehen Ton,
dem keiner der wenigen wahrhaft grossen Maler entrann. Und
da nur aus dem Gefühl der Weltfurcht hervor die letzte Höhe
dessen, was Kunst bedeuten soll, erklommen werden kann, wird
das Wehe unermesslich. Diese Furcht hebt im Denken an und
endet im Wahnsinn vor den Sternen. Sie ist in der Literatur
am stärksten in Dostojewskiys mystischem Naturalismus, der das
Leben an ihr allein gestaltet und ein schreckliches Zittern
zurücklässt; in der Musik in Beethoven, dessen Waldsteinsonate
das unerträgliche Gefühl der Weltwindstille ist; und sie züngelt
in Rembrandts Christuskopf in den „Schülern von Emaus," um
welchen sie ein Heiligenschein wird, den in seinem atem
versetzenden Valeur nur noch Grünewald vermochte. Die ver
zweifelte Unzulänglichkeit dieses Ausdrucks trifft auf die des
Lebens, und es ist, als bärste eine Welt.
Auch das Unsagbare wird hier nicht Ereignis. Diese
bitterste Erkenntnis kam über jeden grossen Maler und ist
identisch mit seiner Grösse. Die liebende Kraft, die er an
Christus wandte, die menschgewordene Erscheinung des Wortes
„Im Anfang war das Wort," muss in ihrem unweigerlichen
Unglück dieses Wort beweisen. Honore Daumiers Liebe ist
jedoch nicht allein unglücklich, sie ist überdies das Wetterleuchten
einer, die ihr Unglück aufgibt. In „Nous voulons Barrabas“
(Sammlung Osthaus in Hagen) verzichtet ein furchtgeweihter
Geist so grandios auf die Gestaltung, dass das „Ecce homo" vor
diesem Bild zum übersinnlichen Schrei wird. Ein gegen sich
selbst gerichteter Hass rüttelt resigniert an einer Silhouette. Der
sittliche Taumel dieser negativen Titanenarlreit hat seinen bösen
Pol im zeichnerischen Oeuvre Daumiers. Es entspricht ihr
qualitativ mit derselben zwingenden Wucht wie etwa Bako von
Verulam das Verbrechen. „Le defenseur“, „l’audience“, „ventre
legislatif“ und die ganze lange Reihe seiner politischen und
Bourgeois-Dessins sind keine karikaturistischen Anklagen, wie
mikrokephale Dissertierende Nachtretende glauben machen
wollen; sie sind die in diabolischer Lust abgeschriebene Tod
sünde, während die Linke zuckend über die Stirn huscht und
eine grosse Ahnung um einen Gedanken ist. Die Reduzierung