Volltext: Sirius : Monatsschrift für Literatur und Kunst (5)

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Honore Daumier 
Auf aller guten Malerei lastet es wie Tragik. Sie ist stets dort, 
wo ein grosser Wille auf einem kleinen Weg sich verfängt. 
Die Malerei, diese tragische Umgehung des Denkens, beweist 
immer, was einer nicht sagen konnte, und manchmal, was ein 
Gehirn litt. Sein Genialisches bricht sich in tausend Farben 
und Formen und wird nicht rein. Die Verzweiflung hinter dem 
Schaffen reckt denn auch nirgendwo so machtvoll sich auf und 
schlug sie schon im Werk nieder, so gibt es einen wehen Ton, 
dem keiner der wenigen wahrhaft grossen Maler entrann. Und 
da nur aus dem Gefühl der Weltfurcht hervor die letzte Höhe 
dessen, was Kunst bedeuten soll, erklommen werden kann, wird 
das Wehe unermesslich. Diese Furcht hebt im Denken an und 
endet im Wahnsinn vor den Sternen. Sie ist in der Literatur 
am stärksten in Dostojewskiys mystischem Naturalismus, der das 
Leben an ihr allein gestaltet und ein schreckliches Zittern 
zurücklässt; in der Musik in Beethoven, dessen Waldsteinsonate 
das unerträgliche Gefühl der Weltwindstille ist; und sie züngelt 
in Rembrandts Christuskopf in den „Schülern von Emaus," um 
welchen sie ein Heiligenschein wird, den in seinem atem 
versetzenden Valeur nur noch Grünewald vermochte. Die ver 
zweifelte Unzulänglichkeit dieses Ausdrucks trifft auf die des 
Lebens, und es ist, als bärste eine Welt. 
Auch das Unsagbare wird hier nicht Ereignis. Diese 
bitterste Erkenntnis kam über jeden grossen Maler und ist 
identisch mit seiner Grösse. Die liebende Kraft, die er an 
Christus wandte, die menschgewordene Erscheinung des Wortes 
„Im Anfang war das Wort," muss in ihrem unweigerlichen 
Unglück dieses Wort beweisen. Honore Daumiers Liebe ist 
jedoch nicht allein unglücklich, sie ist überdies das Wetterleuchten 
einer, die ihr Unglück aufgibt. In „Nous voulons Barrabas“ 
(Sammlung Osthaus in Hagen) verzichtet ein furchtgeweihter 
Geist so grandios auf die Gestaltung, dass das „Ecce homo" vor 
diesem Bild zum übersinnlichen Schrei wird. Ein gegen sich 
selbst gerichteter Hass rüttelt resigniert an einer Silhouette. Der 
sittliche Taumel dieser negativen Titanenarlreit hat seinen bösen 
Pol im zeichnerischen Oeuvre Daumiers. Es entspricht ihr 
qualitativ mit derselben zwingenden Wucht wie etwa Bako von 
Verulam das Verbrechen. „Le defenseur“, „l’audience“, „ventre 
legislatif“ und die ganze lange Reihe seiner politischen und 
Bourgeois-Dessins sind keine karikaturistischen Anklagen, wie 
mikrokephale Dissertierende Nachtretende glauben machen 
wollen; sie sind die in diabolischer Lust abgeschriebene Tod 
sünde, während die Linke zuckend über die Stirn huscht und 
eine grosse Ahnung um einen Gedanken ist. Die Reduzierung
	        
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