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dem Räuber in die Augen zu bohren, der nun alle Kräfte auf
wandte, mit der einen Hand seinen Gegner zu erwürgen,
während die andere den Kampfpreis in die Tasche zu stecken
trachtete. Doch der schon fast Besiegte, dem die Verzweiflung
neuerlich Kraft gab, richtete sich wieder auf und stiess mit dem
Kopf so wuchtig gegen den Magen des andern, dass dieser
niederkollerte . . . Weshalb einen scheusslichen Kampf schildern,
der überdies länger währte, als diese kindlichen Kräfte es wahr
scheinlich machten? Der Kuchen flog von Hand zu Hand und
wechselte fortwähreud die Tasche. Aber, ach, er änderte auch
seinen Umfang. Und als die beiden erschöpft, atemlos und
blutend endlich innehielten, ganz ausserstande weiterzukämpfen,
da gab es in Wirklichkeit keinen Streitgegenstand mehr. Das
Stück Brot war fort. In Krumen verstreut, lag es umher, ähnlich
dem Sand, mit dem es sich vermischt hatte. Dieser Vorfall
hatte mir die Landschaft verleidet. Die stille Freude, die meine
Seele erfüllte, ehe ich diese kleinen Menschen gesehen hatte,
war völlig entschwunden. Lange betrübte mich das alles sehr
und unausgesetzt fast wiederholte ich: „Es gibt also ein herr
liches Land, wo das Brot Kuchen heisst und ein solch seltener
Leckerbissen ist, dass es einen brudermörderischen Krieg zu
verursachen vermag.“
Charles Baudelaire
(Aus dem Französischen von Walter Serner)
Zeichnung
Hans Arp
Inhalt der vorigen Nummer:
Walter Serner: Die Alten und die Neuen; Theodor Däubler; Die
Russin; Die Leiche; Peter Altenberg', Splitter; Paul Claudel: Der
Ruhetag; Theodor Däubler: Die Schraube; mit Zeichnungen von
Pablo Picasso, Alfred Kubin, Hans Arp und Christian Schad.