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knüpfend an die Gefängnisstrafe, die die schöne Kreolin wegen
eines Diebstahls bekommen hatte. Doktor Mal pries die Kokoite
in allen Tonarten, aber es stand, wie stets bei ihm, nicht fest,
ob er es nicht ironisch meinte. Schliesslich sagte er, die Kokotte
sei ein verehrungswürdiges Geschöpf, das einzige Weib, das es
verdiene, eine Heilige genannt zu werden. Germaine sagte darauf,
er solle doch keinen Blödsinn quatschen, jedenfalls sei, wer stehle,
nicht zu den Heiligen zu rechnen. Der Pfeilhuber fühlte sich
dadurch beleidigt. Aber weder ich noch Germaine wussten, dass
Fräulein Pfeilhuber im Kaufhaus des Westens Einkäufe zu machen
pflegt, ohne ans Bezahlen zu denken. Und als nun die Pfeil
huber sagte, sie sei im Zweifel darüber, wer besser sei, eine,
die sogar stiehlt, oder eine, die bloss hurt, und dazu unerhört
frech lachte, da sagte ich, um das Ganze zu beenden: ,Es handelt
sich doch nur um einen Diebstahl. Ein Diebstahl wird nicht
gemeiner, wenn eine Kokotte ihn ausführt. Jemand hat gestohlen
und wird bestraft, bastad Die Pfeilhuber aber begann sich
nun erst recht zu ereifern und verteidigte den Diebstahl als Sa
botage, als Propaganda der Tat, wobei ihr Doktor Mal auf seine
übliche Art sekundierte, indem er sie als leuchtendes Beispiel
hinstellte. Und um Germaine, die sich doch musterhaft verhielt,
nicht ohne sein zweifelhaftes Lob sitzen zu lassen, machte er
eine geschickt versteckte Bemerkung, so ungefähr, als könne sie mit
sich zufrieden sein, da sie schon mehreren Männern . . . Nun
ist aber doch Germaine wirklich noch, fast möchte ich sagen ein
unschuldiges Kind. Ich muss das doch wissen . . . ja . . ."
„Jaa . .“ Scharoll dehnte das Wort, um, ohne mehr sprechen
zu müssen, Kanulf zum Weiterreden zu veranlassen. Er wollte
das jetzt mit einer Hartnäckigkeit, die ihm seltsam erschien, und
sah, wie um sich das zu erklären, Kanulf scharf ins Gesicht.
Dem wurde es dadurch unmöglich weiterzuerzählen. Gleich
zeitig aber trat ihm ein Lächeln unter die Augen, das ihn unsi
cher machte. Um sich darüber hinwegzuhelfen, entschuldigte er
sich abermals: „Nämlich, obwohl in diesem Augenblick, als Ger
maine eben dem Doktor Mal über den Mund fuhr, Sie sprachen . . .
Obwohl Ihre Worte also ja doch richtig waren, wusste ich aber
auch, dass Germaine noch nicht im Stande sei, sie ganz zu ver
stehen, und fürchtete daher ... ich meine . . . dass sie ungehal
ten werden könnte. Und das hätte zur Folge gehabt, dass ich
zwischen zwei Feuer geraten wäre, na ja, nicht, Sie verstehen
mich schon . . . Und das ist ja selbstverständlich, dass ich da . . .
Ich habe übrigens am selben Abend Germaine die ganze Sache
erklärt . . Ja . . .“
In der Nähe hatten sich Fremde niedergelassen. Scharoll
musste ihr Gespräch mitanhören und da er die Sprechenden nicht
sah, verursachte ihm jedes ihrer Worte Ekel. Später erstaunte