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heisst, ist deshalb zum weitaus grössten Teil „reproduktive
Kunst" geworden.*)
*
Es ist sicherlich keine Besonderheit, dass gute Musik stets
so trübselig auf mich wirkt; schlechte Musik nur aus der Ferne.
*
Die Bewusstheit des genialen Malers vor dem Realen ist
malerisch nicht zu vermitteln. Was er vermittelt, ist die Er
kenntnis, dass er dachte, was er nicht aussprechen konnte und
deshalb zu malen versuchte. Da aber ein unaussprechbar Be
wusstes nicht zu malen ist, so ist ein Maler genial, wenn er
nicht malt. Deshalb erkenne ich den genialen Maler an der
Grösse der Summe dessen, was ihm missglückt ist. Dem
schlechten Maler glückt alles.
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Herr Max Oppenheimer ist ein Maler, dem es vor sechs
Jahren glückte, den Wiener Stadtpark wie Liebermann zu malen,
vor fünf Jahren Jünglinge wie Gainsborough, vor vier Jahren
Porträts wie Kokoschka, vor drei Jahren Kompositionen wie
Greco. Gegenwärtig hat er sich gefunden. Es ist ihm nämlich
zum ersten Mal etwas missglückt: Applikationen, wie Picasso
sie verwendet, malt er.
*
Natürlichkeit kommt nur Unbewusstem zu. Daher ist sie
ein Kriteiium für die Dummheit, die als Vorzug preist, was
allerdings natürlich, aber ein Manko ist, und die Einfalt des
Weisen, die Natur an sich, als posiert agnosziert.
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Gestaltung? Niederschreiben, was dem Bewusstsein erreich
bar ist, und so, dass der Satz das Bewusstgewordene erfüllt,
weder darunter-, noch darüberhinausfällt. Das Fehlen gegen
die Erfüllung, das als täuschendes Auslassen oder als verlogenes
Komplizieren ihren Mangel verbergen will, hat alles Schlechte
in der Literatur auf dem Gewissen.
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Der Mystizismus ist dort, wo er wertvoll ist, d i e Form
des Erlebnisses. Er ist der Geist, der das Leben so ernst
nimmt, dass er ausserstande ist, es so gradeweg ernst nehmen
zu können. Im Gegensatz zum Materialismus, der intelligent ist
und die Wolke nur als Wassertropfenansammlung begreift.
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Das Napoleonische ist die Struktur des französischen
Genies. Voltaires Böses musste Bosheit bleiben; Rousseau be
ging mehrere Verbrechen; Balzac, den Rodin napoleonisch
*) Dieser Abschnitt ist eine Ergänzuug des in der vorigen Nummer
erschienenen Aufsatzes „Das Theater.“