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Mitteilungen des Zürdier Siadttheaters
4. Jahrg. Montag, den 19. Mai 1919 No. 215
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Stadttheater.
Montag abends ist eine unserer erfolgreichsten und bedeutend-
sten hiesigen Künstlerinnen auf dem Gebiete des Tanzes, Mary
Wigman, im Stadttheater zu Gaste. Sie bringt die besten der Dar
bietungen, die unlängst auf der Pfauenbühne einen überaus starken
und nachhaltigen Eindruck erweckten und bereichert das Programm
durch einige wertvolle neue Schöpfungen. Im ganzen gelangen 12
Tänze zur Wiedergabe.
Der Tanz Mary Wigmans
von R. von Laban.
Die passive Genialität des Kunstaufnehmens entwickelt sich
stetig. Sie äussert sich im allgemeinen Interesse für Kunst, in der
Liebe zu geistigen Werten, insbesondere aber im Feingefühl für die
Beschaffenheit und Verschiedenheit dieser Werte.
Im Zürcher Kunstleben ist als Errungenschaft der letzten Jahre
die erfreuliche Tatsache festzustellen, dass das Interesse für den Tanz
als selbständige Kunst erwacht und aufgeblüht ist. Die berufensten
Verkünder des Tanzes erschienen, aus deren aktiver Genialität
das gefestigte Urteil und der wirkliche Genuss dieser Kunst empor
wuchs. Freilich vermochte man im Anfang Wertvolles und Wert
loses nicht klar voneinander zu unterscheiden — die Aufnahmeorgane
waren eben noch nicht genügend geschult — und man nahm daher
die blendende Offenbarung der Kunst des bewegten Körpers auch
von bescheideneren Talenten fast allzugern hin. Heute ist es anders.
Jeder, der zu dem neueren Kunstleben Fühlung hat, weiss zwischen
den Darbietungen geschmackvoll gekleideter Tänzer und Tänzerin
nen und dem genialen Schaffen und Interpretieren einer Mary Wig
man, eines Sacharoff oder seiner graziösen Partnerin Clotilde von
Derp scharf zu unterscheiden.
Man könnte sagen, die Tanzkunst wuchs langsam aus der
Ton- und Dichtkunst heraus, fügte sich früher den Gesetzen die
ser beiden Schwesterkünste und steht jetzt frei erblüht, auf ihren
eigenen Gesetzen fussend, da.
An einem der letzten Tanzabende, den Mary Wigman im
Pfauentheater gab, konnte man diese Eigenherrlichkeit des Tanzes
bewundern, die in einem ihrer Tänze, inmitten lautloser Stille, ohne