91
Das ostelbische Junkertum zeigte eine in ihrer Art
fast rührende Verständnislosigkeit für die Forderun
gen einer neuen Zeit. Die Junker begriffen nicht (und
begreifen heute noch nicht) den Wert der freien Arbeit
oder die Idee einer national organisierten Volksarmee.
Steins Reformpläne beruhten ganz auf der Idee der
Selbstverwaltung. Der Adel hätte sich, wenn er diese
annahm, leicht unentbehrlich machen können. Das
preußische Landvolk wußte zunächst mit der neu er
langten Mündigkeit ebensowenig etwas; lanzufangen
wie die in Spießbürgerei verknöcherten Stadtbewohner.
Hier hätten also die Junker im liberalen Sinne führend
und helfend auftreten können. Aber die Idee, daß ihre
bisherigen feudalen Machtvollkommenheiten ver
schwinden und durch Staatsbürgerrechte ersetzt wer
den sollten, die sie mit gleichberechtigten Mitbürgern
zu teilen haben würden, war ihnen unerträglich. Die
preußischen Junker zeigten sich auch hier wieder als
die Antipoden des englischen Adels, dessen staats-
männische Gewandtheit sich unter ähnlichen Umstän
den so geschickt den neuen Forderungen anzupassen
und die Führung des Landes zu übernehmen wußte.
Herrschsüchtig, entwicklungsunfähig und politisch im
potent, klammerte sich das preußische Junkertum
krampfhaft an die vermoderten politischen Zwangs
formeln einer auf immer toten Zeit. Sie schrien Zeter
und Mordio gegen die neue Städteordnung, von der sie
behaupteten, sie löse den Staat in „lauter kleine Repu
bliken“ auf. Sie hatten damit den Erfolg, daß sie die
Ausdehnung der Selbstverwaltung auf das flache Land
verhinderten. Mußten sie schon für die Stadt die Auf
lösung des Staates „in lauter kleine Republiken“ zu
geben, so retteten sie wenigstens für das Land die bis
herige Auflösung des Staates in lauter kleine Feudal
herrschaften göttlicher Observanz.
In ihrem Kampf gegen die moderne Staatsidee er
fanden die Junker damals ein Schlagwort, das noch
heute in allen Versammlungen des Bundes der Land
wirte usw. außerordentlich zugkräftig ist. Herr von
der Marwitz fragte empört, ob man denn das alte, ehr
liche brandenburgische Preußen in einen neumodi