Volltext: Almanach der Freien Zeitung (1918)

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spruchslosen Formen des hohenzoUerschen Königtums 
verschwanden; glänzenlder Pomp, tosender, offizieller 
Jubel, häufige, mit großem Apparat inszenierte Reisen 
traten an ihre Stelle. Wie Friedrich Wilhelm IV. den 
Witz und die Anekfdote bis zum Kalauer liebte, so 
begann unter seiner Regierung auch die Schnoddrig- 
keit des Berliner Witzes sich der Person des Königs 
zu bemächtigen. Friedrich Wilhelm IV. bot dem Volks- 
witz zahlreiche Seiten, denn er war einer der wider 
spruchsvollsten Menschen, die je auf einem Königs 
thron gesessen.. Er läßt den repuJblikanischen Dichter 
Herwegh zu sich rufen, um ihn kurze Zeit darauf des 
Landes zu verweisen. Aus einem Spießbürger, wie 
von Rochow, macht er seinen Minister und aus einem 
Weltbürger, wie Alexander von HuJmboMt, seinen 
FreunJd und Berater. Von großer Frömmigkeit und 
doch liberal, ganz vollgepfropft mit mittelalterlichen 
Vorstellungen und Joch (wie er sich im Gegensatz zu 
seinem Vater selbst nannte) ein „moderner Mensch“, 
versuchte er die Herrlichkeit eines romantischen 
„teutschen“ Mittelalters und die Prächtigkeit einer 
römischen Herrscherkirche mit den Freiheitsideen des 
Protestantismus und des 19. Jahrhunderts zu verbin 
den. Man muß diesen, in jedem Sinne ganz unberechen 
baren Ahnen studieren, um die Persönlichkeit Wil 
helms II. und seinen „Zickzackkurs“ zu verstehen. 
Jeder Hohenzoller war immer grunidverschieden von 
seinem Vorgänger, und deshalb ist die zwischen Fried 
rich Wilhelm IV. und Wilhelm II. bestehende Aehn- 
lichkeit um so merkwürdiger. 
Friedrich Wilhelm IV. besaß zwar niemals einen 
planvollen politischen Gedanken, aber die Abneigung 
gegen das bureaukratiscbe Wesen war doch ein her 
vorstechender Zug seines Wesens. Die „Schreiberkaste“ 
war ihm zuwider. Und darum hatte das Junkertum 
sein Wohlgefallen an diesem Herrscher. Es umgab 
ihn mit „Heiligen und Rittern“, entfremdete ihn völlig 
seinem Volk und seiner Zeit und lullte ihn in Weih 
rauch und herrliche Redensarten vom Gottesgnaden- 
tum ein. Der Berliner Hof sprach eine Sprache, die 
niemand mehr im Lande verstand, am allerwenigsten
	        
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