Full text: Almanach der Freien Zeitung (1918)

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Aber 'Bismarck war zu klug’; er wies das Unmög 
liche von sich, um nur 'das Mögliche zu erreichen. Hätte 
er die preußischen Siege für eine vollständige Abschaf 
fung des Konstitutionalismus ausgenützt, dann wäre 
Preußen im Rate der Völker unmöglich geworden und 
hätte niemals die Führung der demokratisch veran 
lagten deutschen Siildstaaten übernehmen können. Bis 
marck ließ sich die fortan demütige Haltung der preu 
ßischen Nationalliberalen genügen und steckte im 
übrigen eine höchst liberale Miene heraus: Preußen ist 
ein konstitutioneller Staat, Preußen will den maßvollen 
Fortschritt! Wenn mich die Blindheit der parlamen 
tarischen Mehrheit auch da und dort zu reaktionären 
Maßnahmen zwang, so bin und bleibe ich doch ein 
modern denkender, auf die Verfassung schwörender 
Staatsmann. Das war Bismarcks Sprache gegenüber 
den deutschen Südstaaten und gegenüber der Welt. So 
behielt er die Leitung der deutsch-liberalen Einheits 
bewegung fest in der Hand und schaffte nach außen 
hin den vorzüglichen Eindruck, als ringe sich Deutsch 
land unter seiner Führung der nationalen Vereinheit 
lichung entgegen. 
Das Junkertum, das niemals weitscbauend und 
ideal denkend ist, grollte. Es konnte ja nicht ahnen, 
daß die liberale Aera von 1866/1870 nur das (in Preußen- 
Deutschland immer notwendige) Possenspiel für die 
Einleitung neuer Junkertriumphe war. Die Schaffung 
des Norddeutschen Bundes und Norddeutschen Parla 
ments, die Wiederherstellung von Kaiser und Reich 
nach Sedan war ganz und gar nicht nach dein Ge 
schmack der Herren Ostelbier. So viel war ihnen frei 
lich von vornherein klar: Diese „Kaisermach erei“ war 
kein „jüdisches Geschäft“ mehr wie in 1848. Aber trotz 
allem und allem hing ein Tröpfchen demokratischen Oels 
an dieser Kaiserkrone. Der Kriegsminister von Roon 
schrieb aus Versailles die recht bezeichnenden Worte 
an Blankenburg: „Denn die Nationalen und sonstigen 
Liberalen haben ganz recht, daß mit dem nun zu Ende 
gehenden Kampf und dem errungenen Sieg eine „neue 
Aera freiheitlicher Entwicklung“ anheben muß .... 
Ich vermisse den Boden, auf dem eine konservative 
Partei der Zukunft Fuß fassen könnte.“
	        
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