Volltext: Almanach der Freien Zeitung (1918)

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WALTER RATHENAU 
von Hugo Ball 
(Nummer 4, 12. Januar 1918.) 
Als er vor einigen Monaten in die Schweiz kam, 
Begrüßte ihn das „Berner Tagblatt“ als „führenden 
Deutschen“ nnld er hatte die G-üte, sich interviewen 
zu lassen. (Siehe „Berner Tagblatt“ vom 6. Oktober 
und „Freie Zeitung“ vom 13. Oktober.) Etwa gleich 
zeitig erfuhr man, daß seine Programmschrift „Von 
kommenden Dingen“ (von S. Fischer als „Aufruf zur 
Freiheit“ in Massenauflage verbreitet) ins Schwedische 
und Russische übersetzt worden sei. Damals waren 
Lenin und Trotzky noch nicht Volkskommissäre. In 
zwischen beginnt die Schweiz ihre Rohstoffe nach 
seinem Rezept zu organisieren, und es verlautet, daß 
Herr Rathenau sich als deutscher Unterhändler in 
Rußland befindet. Gründe genug, jenem „Aufruf zur 
Freiheit“ einige Sätze zu widmen. 
Von der Verantwortung. 
Wenn ein deutscher Jude in einem Lande, wo 
seine Stammesgenossen noch heute in einem morali 
schen Ghetto leben, einen Aufruf zur Freiheit nicht 
gegen den feudalen Antisemitismus, sondern gegen 
die „Not“, gegen das „Dogma des Sozialismus“, gegen 
den „Klassenkampf“, gegen die „Luxusindustrie“, gegen 
die „Mechanisierung“ und die „plutokratische Oligar 
chie“ für das Feudalprinzip richtet, — was soll man 
von seinem Selbstbewußtsein uhd Freiheitsgefühl, was 
von seiner Sachlichkeit halten 1 ? Auch heute noch kann 
ein Jude in Deutschland weder aktiver Offizier, noch 
Professor, weder Korpsstudent, Bürgermeister, noch 
Diplomat werden. Im Lande der Chamberlain und 
Treitschke bleibt Ballin, der Direktor der Hamburg- 
Amerika-Linie, bleiben Helfferich, Demburg und auch 
Herr Rathenau des Kaisers „liebe Juden“, deren 
Dienste er dankend quittiert, so lange er sie braucht, 
denen er aber auf der Parade jeden christlichen
	        
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