Volltext: Almanach der Freien Zeitung (1918)

202 
Demokratie erfordert eine gewaltige Menge Energie,, 
nnd durchwegs leistet der schweizerische Arbeiter als 
Mitglied der Gemeinde-, Kantons- nnd Bundesinstan 
zen viel mehr geistige Arbeit als etwa der Proletarier 
Deutschlands bei seiner alle fünf Jahre wiederkehren 
den Wahlagitation. 
Gleichzeitig aber war die schweizerische Arbeiter 
bewegung immer noch ein Objekt eines gewissen 
geistigen Fremdenverkehrs. Seit die Jurassier, die 
Genfer nnd die Zürcher Ende der sechziger Jahre allen 
sozialistischen Theoretikern Gastfreundschaft gewähr 
ten, bestehen in der schweizerischen Arbeiterbewegung' 
fast jeder bedeutenden Stadt ein oder mehrere theo- 
retisierende Milieux. Man kann indessen ruhig be 
haupten, daß die meisten dieser ausländischen Redner 
und Schreiber im allgemeinen sich niemals praktisch 
mit der schweizerischen Arbeiterbewegung beschäftig 
ten, daß sie aber auch meistens keinen Zusammenhang 
mit der Bewegung ihrer Heimat hatten, so daß die 
in diesen Milieux entstandenen Theorien immer welt 
fremd waren. 
Mit Kriegsausbruch wurde dieses theoretisierende 
Ausländermilieu plötzlich ein Milieu von Deserteuren 
und Refraktären. Ein Milieu aber, in dem italienische,, 
deutsche, russische, österreichische und französische 
Refraktäre Zusammenleben und gemeinschaftlich eine 
Moral suchen, die sie vor ihren eigenen Gewissen 
rechtfertigt. Ein solches Milieu muß geistiges Gift 
hervorbringen. Wir billigen die Refraktion eines 
Mannes, der nur noch pro forma Bürger seines Ab 
stammungslandes ist, tatsächlich aber Schweizer ist. 
Wir verstehen und billigen die Refraktion eines sla 
wischen oder romanischen Oesterreichers, eines pol 
nischen oder elsässischen Deutschen, denn eine solche 
Dienstentziehung ist de facto ebenfalls ein Akt der 
Solidarität, wenn auch nicht der Solidarität gegen 
über der Staatsgemeinschaft, so doch gegenüber der 
Bluts- oder Herzensgemeinschaft. 
Anders aber die sozialistischen Refraktäre der 
Zürcher, Basler, Berner Diskutierklubs, die leider 
geistig in der schweizerischen Arbeiterbewegung lei-
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.