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einer unvergleichbar idealistischen Führerschaft in
den Krieg eingetreten. So unglaublich es klingen mag:
Amerika führt Krieg um der Welterlösung willen.
Ein Weltstaat, verbündet durch allgemeines Wohl
wollen, dies ist das Ideal, welches Amerika gegen
wärtig leidenschaftlich bewegt unld das Millionen
seiner Jünglinge dazu treibt, sich in die Schlacht
reihen Frankreichs einzureihen. Einzig die Kreuzzüge
zeigen eine teilweise Aehnlichkeit mit diesem Krieg,
an dem Amerika nun teilnimmt und den es als einen
heiligen betrachtet — als den Kampf für eine demo
kratische und föderative Gestaltung der Welt.
Das Ideal selber erscheint, außerhalb Amerikas,
und im trüben Licht der gegenwärtigen Welt Wirklich
keit gesehen, beinahe absurd. Der Zustand der inter
nationalen Anarchie ist so alt und die Menschen sind
so wenig geübt im internationalen Vertrauen und
Glauben, so wenig gewöhnt an Freiheit und Brüder
lichkeit innerhalb der nationalen Grenzen, daß eine
Weltverfassung, gegründet auf Wohlwollen und all-
seitige Harmonie, nirgends möglich scheint als in den
Traumgespinsten der Toren. So lange schon haben
jene Vorstellungen von nationalen Pflichten und In
teressen regiert, die den Menschen tief unter das
soziale und gefühlsmäßige Niveau des Jungles stellen;
so lange hat die Diplomatie sich mit Nichtigkeiten
und verbrecherischen Torheiten abgegeben; so lange
frönte die offizielle Welt ihrem blinden Glauben an
die bewaffnete materielle Macht und verhielt sich
skeptisch und zynisch gegen das Gesetz der Liebe und
seine wechselseitigen Beziehungen — so lange dauerte
dieser Haß und diese allgemeine Empörung aller
gegen alle bereits an, daß man das Mißtrauen wo
nicht gar den Spott politischer iwie akademischer
Köpfe erregt, sobald man von einer Völkerverbrüde
rung als der Lösung der gegenwärtigen Krise zu
sprechen wagt.
Denn noch immer sind wir in der — unter allen
Umständen ebenso gedankenlosen als unsittlichen —
Meinung befangen, daß Prinzipien und Handlungs
weisen, die wir für den Einzelnen als verwerflich er-