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II.
In seiner Erklärung über die Reckte der Nationen
— sie ist richtunggebender und vollgültiger selbst als
die Erklärung der Menschenrechte, welche den An
stoß zur französischen Revolution gegeben haben —
gab Wilson dem internationalen Gedanken seine erste,
gehaltvolle und glaubwürdige Begründung. Wahrer
Internationalismus nämlich ist nur möglich als Hüter
eines entschlossenen und männlichen Nationalismus.
Bis heute war der Internationalismus, für den die
Propaganda diesen Titel beanspruchte, nur ein mar
xistisches Scheinbild, eine unfruchtbare, aber präten-
ziöse Abstraktion. Es gab immer nur Internationalis
mus unter der Voraussetzung schwächlicher und ver
hängnisvoller Verneinung der Nationalität. Eine von
den Ursachen des Zusammenbruchs des Sozialismus
bei Beginn des Krieges war die unsägliche und un
ausdenkbare Verwechslung von Internationalismus
mit Antinationalismus — wobei der letztere für den
ersteren gehalten wurde. Die sozialistische Bewegung
ist niemals international, sie ist bloß aw£inational
gewesen.
Die Idee, daß das nationale Wesen etwas Unreales,
die Nation eine willkürliche wirtschaftliche Ein
richtung sei, ist kein Internationalismus. Sie ist
genau die Verneinung von allem, was dem Inter
nationalismus seinen Namen und seine Existenz
berechtigung gibt. Die Nation aber existiert; und das
wahrscheinlich, so lange die Welt selber bestehen
wird. Keine von den alten Nationen ist wirklich tot:
die ältesten und vergessenen Völker haben noch ihr
lebendes nationales Erbe auf der Erde hinterlassen.
Und durch die Anerkennung jeder ethnischen Sonder
art und die Aufforderung an jede Gruppe, ihre Mög
lichkeiten zu verwirklichen, wird ein verständnisvoller
und überzeugender Internationalismus sich manife
stieren. Dieser wahre Internationalismus wird nicht
eine Folge der Verwischung nationaler Grenzlinien
sein, sonldern die ihrer lebendigen und brüderlichen
Neubestimmung. Seine erste Aufgabe wäre zunächst
einmal für jedes Volk, so klein es auch sei, die ihm