Volltext: Almanach der Freien Zeitung (1918)

liat den moralischen Zusammenbruch nicht verhindern 
können. 
Der Kupferprozeß *) beleuchtete blitzartig die Kor 
ruption der kapitalistischen Intrige, unid neben dem 
täglichen Lebensmittel Wucher blüht und gedeiht der 
politische Wucher, von dessen Zinsen die „Deutsche 
Vaterlandspartei“ ihr Parasitendasein fristen dürfte. 
Die „heiligsten Güter“ der Nation sind Verdauungs 
fragen geworden. Die staatliche Gemeinschaft ist 
längst eine Fiktion, und auch die starke Grundfarbe 
des Nationalismus hat es nicht verhindern können, 
daß das Volk sich in den ziellosen Kampf um das 
nackte Leben stürzte. Nirgends mehr sind Forderun 
gen, Ziele, Prophezeiungen. Alles ist zum Zweck ge 
worden und ohne Rücksicht auf die Gemeinschaft, 
ohne Rücksicht auf die Gesetze der Moral, ohne Rück 
sicht auf das hohe Evangelium der Liebe behauptet 
sich der einzelne auf Kosten von tausend anderen. 
Wir finden in dieser Auffassung eine Reproduktion 
deutscher Politik. Sie, der jedes Rückgrat, jede Füh 
rung fehlt, hat den Zusammenbruch der öffentlichen 
Moral beschleunigt, und neben diesem Zusammenbruch 
der öffentlichen Moral erleben wir die Katastrophe 
des Zusammenbruchs jener politischen Moral, die seit 
nunmehr 40 Jahren am Abgrund der Unmenschlich 
keit triumphierte, um endlich vom Gewissen der Welt 
in den Abgrund gestoßen zu werden. 
MOEAL ODER UNMORAL 
IN DER AUSWÄRTIGEN POLITIK? 
von Dr. H. Schlieben, Reichskonsul a. D. 
(Nummer 8, 9. Mai 1917.) 
Moral oder Unmoral, was sollen wir wählen in 
der hohen Politik? Diese Frage stellte der Schreiber 
dieser Zeilen, der sich als junges Mitglied des aus 
wärtigen Dienstes um die Jahrhundertwende herum 
mit diesem schwierigen Problem schon abplagte, dem 
bekannten amerikanischen Staatsmann Karl Schurz, 
*) Der Schwiudelprozeß der Margarete Kupfer in Berlin. 
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