Volltext: Almanach der Freien Zeitung (1918)

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ohne von der strafenden Gewalt des Staates ereilt zu 
werden. Diese sittliche Errungenschaft haben wir uns 
im bürgerlichen Leben erworben durch die Erfahrung 
von Jahrhunderten, die uns lehrte, daß die Unmoral 
des einzelnen Staatsbürgers das Gemeinwesen schädigt, 
daß nur ein moralisches Verhalten der Bürger unter 
einander einen Staat stützen und in der Welt vor 
wärts bringen kann. Sollte nicht auch für die Staaten 
gesellschaft endlich die Zeit gekommen sein, in ihren 
auswärtigen Beziehungen die sittlichen Grundsätze 
der bürgerlichen Gesellschaft anzuwenden? Sollte es 
in Zukunft nicht als strafwürdiger, internationaler 
Rechtsbruch gelten, wenn ein Staat, nur weil er die 
größere Macht besitzt, einen schwächeren vergewaltigt 
oder knechtet? Wie im bürgerlichen Leben die Moral 
erfahrungsgemäß sich noch immer auf die Dauer als 
beste Beraterin erwiesen hat, so würde auch ein Staat 
aus einer moralischen auswärtigen Politik letzten 
Endes im Völkerleben weit größeren Nutzen ziehen, 
als wenn er um eines augenblicklichen Vorteiles wil 
len die Bahn des Rechtes verläßt. 
Manche meinen aber, daß es der Natur des Men 
schen entspreche, sich gegenseitig zu bedrohen und zu 
bekämpfen. Zur Begründung dieser Theorie, die den 
Menschen mit- dem Tiere gleichstellt, wird Darwin ins 
Treffen geführt. Sein „Kampf ums Leben“ soll die 
Unmoral im politischen Leben rechtfertigen. Mit Un 
recht! Darwin hat nur die Lebenskonkurrenz im Auge 
gehabt als Mittel zu einer immer größeren Vervoll 
kommnung. Den Ausdruck „Kampf ums Leben“ hat 
er äußerst selten und höchst ungern gebraucht, gerade 
weil er das Gewalttätige aus seiner Lehre verbannt 
sehen wollte. 
Wie sich aber auch der Sprung des Menschen aus 
dem Tierzustande vollzogen haben mag — falls über 
haupt ein solcher Sprung jemals stattfand —, eins ist 
sicher: Das höchste lebende Wesen auf der Erde, der 
Mensch, besitzt die Vernunft, eine Fähigkeit, welche 
mit keiner Eigenschaft tierischer Lebewesen ver 
glichen werden kann. Sie ist göttlicher Essenz. Sie 
hat dem Menschen etwas geschenkt, das in der Tier
	        
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