Volltext: Almanach der Freien Zeitung (1918)

relatives Verständnis für notwendige Reformen ist 
ihnen verdächtig. Bismarck gehörte als neugebackener 
Fürst nur dem preußischen, nicht 'dem hohen deutschen 
Adel an nnd war insofern weit weniger vornehm als 
der aus mediatisierter, „ebenbürtiger“ Familie stam 
mende Fürst Hohenlohe. Trotzdem gehört ein Herr 
v. Bismarck ebenso wie ein Herr v. Biilow auch ohne 
den Fürstentitel schon dem Uradel an. Auch die 
Caprivi zählen Jahrhunderte lang zum bekannten 
Adel. In der deutschen Diplomatie ist die kaiserliche 
Gnadensonne das eigentliche Lebenselement. 
Oesterreich-Ungarn verfährt auf diesem Gebiete 
ähnlich. England befolgt das gegenteilige Prinzip: es 
sucht im Mutterlaüde, in den Kolonien und besonders 
in den Parlamenten die fähigsten Köpfe zu entdecken, 
um sie in der hohen Diplomatie zu verwenden. Ihr 
Stammbaum spielt bei den Briten ebensowenig eine 
Rolle wie derjenige ihrer französischen, italienischen 
öder amerikanischen Kollegen für deren „Carriere“. 
Und doch wird auch der schlimmste Feind Englands 
nicht behaupten wollen, Englands Diplomatie arbeite 
ungeschickt. Ich glaube, ein Philipp Eulenburg wäre 
bei den Briten undenkbar, ein Disraeli (Beaconsfield) 
oder Lord Cromer bei den Preußen. Wie wenig der 
deutsche Geschmack bei Auswahl der Missionschefs 
zuiii Wöhle des Reiches ausgeschlagen ist, beweist die 
Vorgeschichte des Weltkrieges. Mir ist bekannt, daß 
einige andere Bundesglieder, wie zum Beispiel Bayern, 
in bezug auf „Auswärtiges“ etwas mehr zu sagen 
haben als die übrigen dii minores imperii. Aber auch 
dieser Umstand hat es nicht verhindern können, daß 
eigentlich außer Marschall von Bieberstein kein deut 
scher Auslandsvertreter etwas Bleibendes geschaffen 
hat. Und der soeben Genannte — ist der geistige Vater 
der türkischen Intimität. Um diese scheint aber die 
übrige Welt Deutschland nicht gerade zu beneiden. 
Wer deutsche diplomatische Art studieren will, der 
lasse sich einmal von einem nichtdeutschen Teil 
nehmer an den Haager Konferenzen in diese inter 
essante Materie einführen. In Zukunft darf nicht mehr 
der deutsche Kaiser auswärtige Politik „machen“. Er
	        
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