Full text: Almanach der Freien Zeitung (1918)

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Gemeinschaftsideal zu verwirklichen. Sie haben selbst 
in der Zeit der Feudalherrschaft weniger regiments 
fähiger Familien nie ganz den alten Bauerntrotz ver 
loren; und erst der jetzige Weltkrieg scheint den 
schweizerischen Bundesrat Einflüssen dynastiefreund 
licherer Art zugänglich gemacht zu haben. 
Den anderen deutschen Stämmen schien es nicht 
erst nötig, diese Probe abzuwarten. Bald stand es so, 
daß der Bauer verachtet un!d leibeigen wurde. Die 
Bürger in den Städten genossen größere Ehre, und ihr 
Geld gab ihnen oft eine gewisse Ebenbürtigkeit mit 
dem Junker, wenigstens bis zur Reformation hin. Die 
Bauernkriege mißlangen, dieser frühe Auftakt zu einer 
deutschen Revolution; aber das Leben in den mittel 
alterlichen Reichsstädten muß nach allen Zeugnissen 
der Zeit einer gewissen Freiheit und kirchlich erleuch 
teten Demokratie, der Atmosphäre ihrer einzigartigen 
künstlerischen und geistig-mystischen Kultur nicht 
entbehrt haben. Nach dem dreißigjährigen Krieg 
herrschte jedoch gerade im Innern dieser Städte eine 
solch durchgehende Ständeschichtung mit unnah 
barem Patriziat, daß damit auch hier .der günstigste 
Nährboden für die Entwicklung des späteren Unter 
tanen gegeben war. Zudem wirkte bald darauf der 
protestantische Norden mit seiner stark slawisch 
durchsetzten, dienstwilligeren Bevölkerung stärker als 
vorher auf die deutsche Geschichte ein, einen bestän 
digen Ansteckungsherd der ServiÜtät bildend; und so 
schloß sich das Grab, als infolge des ökonomischen 
Machtzuwaohseis der Fürsten und Herren durch die 
Reformation, sowie des auch im Süden rezipierten 
römischen Rechts das Ghetto des Bauern und Bürgers 
mit Armut und Einflußlosigkeit, Verkümmerung seines 
Wesens, Servilität als Untertanenpflicht, Verfall der 
eigentümlichen gotischen Stadtkultur, Bestimmtheit 
jeder Form und jedes Stils von den zahlreichen Höfen 
her — als dieses Grab der Freiheit fortan das Volks 
schicksal der Deutschen wurde. 
Aber möge das deutsche Volk erst einmal in einen 
anderen Sattel gesetzt werden, vielleicht kann es noch 
reiten, vielleicht kann sogar der Geist mitreiten. Es
	        
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