Full text: Almanach der Freien Zeitung (1918)

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Die Untersuchung der Kriegsursache in Verbin 
dung mit den Kriegszielen führt uns also weiter zu 
einer ganz neuen Schuldfrage —, zu einer Schuldfrage 
der Zukunft, deren Formulierung schon heute von 
großer historischer Wichtigkeit ist. Bisher existierten 
nur zwei Scbuddfragen: 
die Sehuldfrage aus der Vergangenheit, 'das heißt 
aus der entfernteren Vorgeschichte des Krieges; 
die Sehuldfrage aus der Gegenwart, das heißt aus 
der unmittelbaren Vorgeschichte des Krieges. 
Beide Schuldfragen habe ich in „J’accuse“ mit einem 
glatten Schuldig zu Lasten Deutschlands und Oester 
reichs beantwortet. 
Die dritte Sehuldfrage, die, je mehr der Krieg wor 
und hoffentlich seinem Ende zuschreitet, um so akuter 
wird, ist die Frage der zukünftigen Gestaltung Euro 
gas. Diese Frage lautet: Soll Europa auch in Zukunft 
unter der bisherigen Völkeranarchie, unter den Macht 
rivalitäten der führenden Staaten, unter dem ruinösen 
Zustande des bewaffneten Friedens, der nichts anderes 
als ein latenter Krieg ist, weiter leben? Oder soll an 
Stelle dieses Gewaltzustandes ein Reohtszustahd treten, 
der den Frieden und die Sicherheit aller durch organi 
satorische Einrichtungen gewährleistet? Deutschland 
erstrebt die* Fortsetzung der bisherigen Anarchie, 
innerhalb deren es seine eigene Sicherheit durch 
Machtvergrößerung erhöhen will. Deutschlands 
Gegner erstreben den Rechtszustand. Die Frage, ob 
Deutschland auch mit diesen Zukunftsbestrebungen 
eine neue, eine dritte schwere Schuld auf sich lädt, 
hängt von der Vorfrage ab, ob es tatsächlich im 
Sommer 1914 von seinen Gegnern überfallen worden 
ist oder nicht. Ist es überfallen worden, so wäre der 
Gedanke an seine einseitige Zukunftssicherung zwar 
verfehlt, weil das Mittel dem Zweck nicht entspricht, 
er wäre aber nicht verbrecherisch, würde also zu den 
übrigen Schuldposten keinen neuen gleichwertigen ge 
sellen. Ist es aber nicht überfallen worden, so ist sein 
Gedanke an einen deutschen Gewalt- und Eroberer 
frieden ein Verbrechen an der Zukunft —, ein Ver 
brechen genau so schwer wie die, die es in der Ver-
	        
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