Full text: Almanach der Freien Zeitung (1918)

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gründlich verwüstet, schamlos ausgesogen unid sich 
gründlich entfremdet hat. Durch die fortwährenden 
Kriegskontributionen, die Dezimierung unserer Bevöl 
kerung, den von außen hineiügetrügenen Zwiespalt 
zwischen Wallonen und Flamländern, durch die jahre 
langen Schindereien, welche sich deutsche Militär- und 
Zivilbeamte gegen ganze Verbände, sowie gegen Einzel 
personen erlaubt haben, ist das reiche und glückliche 
Belgien eine Stätte geistigen und wirtschaftlichen 
Elends geworden. Man hat die saftige Frucht genossen 
und ausgequetscht — wozu ist sie noch weiter nütze? 
Andere Kreise denken freilich daran, Belgien als 
Sicherheit gegen England und Frankreich dauernd zu 
verwerten. Sie möchten sich am Aermelfcanal ein 
zweites Reichsland schaffen, etwa wie Elsaß-Lothrin 
gen, und ihm nach dem Kriege alle Segnungen der 
deutschen Kultur aufzwingen. Offen gesagt: wir 
gönnen uns ein besseres Los. Und wir sind sicher, daß 
jeder freiheitlich denkende Schweizer fühlt wir wir. 
Freilich wird es erst etliche Jahre nach dem Frie 
densschlüsse möglich sein, dem Publikum die Leidens 
geschichte Belgiens an Hand der Dokumente vorzu- 
zuführen. Heute macht die kaiserlche Zensur des In- 
und Auslandes noch „Geschichte“. Morgen aber werden 
die Geschichts/orsc/z-er an die Arbeit gehen, und über 
morgen werden die ersten Kapitel eines Monumental 
werkes erscheinen, welches zwar auch „nere perennius“ 
sein dürfte, aber von dem preußischen Kultusmini 
sterium den deutschen Schulen nicht vorgeschrieben 
sein wird — es sei denn, daß im Reiche ein ehrliches 
Geschlecht heranwachse, das die Wahrheit zu hören 
wünscht und sie vertragen kann. Auch diese Hoffnung 
wollen wir nicht gänzlich fahren lassen! Vielleicht 
bereitet sich doch die Geburt des neuen Deutschtums 
vor, dem alle Gewaltpolitik und Doppelmoral ein 
Greuel sein wird. 
Jedenfalls muß die deutsche Politik zuerst ein 
ganz neues Blatt Weltgeschichte schreiben, bevor ihr 
die alten Sünden verziehen werden und der Reichs 
deutsche sich wieder in der übrigen Welt zeigen darf, 
ohne daß man ihm den Rücken kehrt-, oder heimlich
	        
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