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DIE VIELLEICHT LETZTE FLUCHT
Tiefe Nacht. Still. In einer fremden Stadt ein steiles Zimmer. Eckig.
Mattes Kerzenlicht flackert.
Dämonisch öffnet sich eine Tür.
Zwei Wesen sitzen einander gegenüber. Ein Mensch und die Frau.
Der Mann (sich in zwei graue Seen versenkend, die auch unruhig waren) spricht: „Ich möchte
Dich ansehen. Immer ansehen — ganz genau ansehen. —
Die Frau: (langsam und gedehnt): „Ich glaube man soll nichts genau ansehen. Nur nicht genau
ansehen. Ich glaube — —"
Der Mann: „Du glaubst, sagst Du?!“
Die Frau (zögernd): „Ja. Mir erscheint alles zweifelhaft. Alles fraglich.
Vielleicht —“
Er (wie trinkend): „0 sprich zu mir — ich höre!“
Sie (verzehrend, mit abgerissener Gebärde): „Nimm mich! Nimm mich!“
Sie fielen in einander. Sie flog ihm zu . . .
Später griff er sofort nach einer Cigarette.
Sie lächelte leise (ein Lächeln, das umso süsser wirkte, weil es selten war): „Ah! Du bist einer
von denen. Hm. Sofort neue Reize.“
Er: „Ein anderes Thema.“
Seine Augen blickten kühl. Um die Lippen, boshaft schmal irrte ein graues Lächeln. Das Lächeln
des Mörders.
Sie sah entgeistert auf seinen offenen Mund. Seine Augen kniffen sich zynisch zusammen.
Da schlug es in sie. Augen brannten in einander. Saugten sich fest. Da erkannte sie ihn.
Hinüber und herüber ein geheimes Zeichen.
Er: „Ja. Ja. ... ich bin derjenige “
Sie zitterte. Sie fiel schüchtern in seine Hände. Und dann zu ihm aufblickend und hingeworfen
gestreckt): „Dir leb ich — Dir sterb ich.“
Und wieder dieses graue Mörderlächeln um seinen schmalen Mund.
Am andern Tage trafen sie sich. Er fragte - „Wie geht es Dir?“
Und sie starb, weil sie sich beobachtet fühlte.
EMMY HENNINGS