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7. März, 12 Uhr mittags.
Ich fahre fort.
Vorhin wurde ich durch den Besuch eines unserer vielen freigelassenen
Freunde, eines gewissen Ilja Jarkow unterbrochen, eines sehr lieben, tief
religiösen und ernsten jungen Mannes, der zu zehn Jahren Zuchthaus
verurteilt war und anderthalb Jahre davon schon in Butyrka und
in anderen Gefängnissen abgesessen hat. Ach, wie wünschte ich, daß Ihr
einen von diesen Menschen zu sehen bekämet: wie wunderbar sind diese
Jünglinge und Männer! In diesen Tagen habe ich etwa fünfundvierzig
von ihnen gesprochen. Eben telephonierte mir ein Mitglied des Befreiungs
komitees, eine uns unbekannte Militärperson, und fragte nach Tschertkow,
der zur Zeit leider in Petersburg ist; er bat, diesem mitzuteilen, wie glück
lich er sich fühle, daß ihm die Ehre und die Freude geworden sei, an der
Befreiung jener wundervollen Menschen Anteil nehmen zu dürfen. Er
habe ihre Bekanntschaft im Gefängnis gemacht, als er sie über die Ursache
und die Dauer ihrer Strafe verhörte (wobei sie sich auf Tschertkow als
ihren Freund bezogen). Er nannte mir einen von ihnen beim Namen — un
seren guten Freund Koshanow, — einen merkwürdigen, sehr schlichten
Menschen, der kaum lesen und schreiben kann, aber ungewöhnlich klug,
lebhaft, unsatirisch-witzig, frohmütig und in allen Lebenslagen sorglos ist,
sogar seine Richter und Wächter hat er zum Lächeln gebracht. Er
hatte in Moskau irgendwo als Lakai gedient. Und jetzt, ungeachtet seiner
tödlichen Krankheit — Lungen- und Darmtuberkulose — soll er immer
noch ebenso froh und heiter sein. Man hat ihn kürzlich aus dem Tagan-
schen Gefängnis entlassen. Wo er augenblicklich ist, weiß ich noch nicht,
hoffe aber, daß man ihn entweder zu uns oder ins vegetarische Speise
haus schicken wird, wo die Unsrigen sich oft treffen.
Eben kam unser armer lieber Koshanow zu uns. Mit Mühe hat er
sich bis hierher geschleppt. Dem Ärmsten geht es sehr schlecht. Er
hofft zwar, daß er in der Freiheit noch gesunden werde, ich selbst habe
keine Hoffnung. Es ist furchtbar schade um ihn. Ein bewunderungswür
diger, ganz seltener Mensch; so nötig für die Sache Gottes! Die furchtbaren
Qualen haben ihn zugrunde gerichtet. Möge Gott seinen Peinigern ver
zeihen : sie wußten nicht was sie taten . . . Als er zu mir ins Zimmer trat,
umarmten wir uns und weinten vor Freude und Schmerz. Sein Aussehen
ist entsetzlich. Ich erwarte seine Frau und sein Söhnchen. Sie sind immer
noch nicht aus ihrem Dorfwinkel hier angelangt. Vielleicht herrschen dort
noch die alten Zustände; die Lokalbehörden einiger Gouvernements, die