Volltext: Zeit-Echo (3(1917), 1. und 2. Juniheft)

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Wort für eine Schiebung gehalten habt; ihr, die ihr nie den leisesten Hauch 
spracht gegen die grosse, öffentliche, riesenhafte Zwangsgewalt — nun in 
dieser Angst um die letzte Stunde eurer Literaturgerippe versucht ihr eilig 
ein Geschäft mit Christus und haltet den Unterdrückten die Predigt gegen 
die Gewalt. 
Aber ihr, deren einzige Tat stets war, zu leugnen, dass Gutes oder Böses, 
Freiheit oder Zwang, Wert oder Sünde herrsche — ihr seid verdammt, die 
letzten Zuckungen der Gesellschaft, aus der ihr kröchet, mitzutanzen. Ihr, 
die ihr nicht wolltet ausserhalb dieser Gesellschaft bleiben, euch werden nun 
dieselben Riesensohlen des knirschenden Vergessens zu Brei treten, und der 
heisse Wind, der um die Erde geht, wird euch als stinkenden Staub zerwehen, 
und als kalkiger Schleim werdet ihr niederfallen auf dem Urgrund von ewigen 
Weltmeeren. 
Unrettbar seid ihr, und jetzt nur noch am Leben, weil der Tod selbst 
euch seine Verachtung ins Gesicht gespieen hat, und letzten Ekel trägt, nach 
euch zu greifen. 
ß. <R. 
Gßrenstein 
Diese entschlossene Zeit ist doch nicht ganz ohne Einfluss auf die künst 
lerische Produktion. Der Krieg hat nicht nur, die Kunst anlangend, die 
Wirkung geübt, Bildhauer, Maler, Dichter in Massen umzubringen, — soweit 
er sie nicht umgebracht hat, sie in Massen zu verelenden, — soweit er sie 
nicht verelendet hat, ihnen die Schaffenslust zu nehmen. Aber es gibt Men 
schen, die mit dem Krieg auf ihre Weise agressiv fertig werden. 
Zunächst dieser (Albert Ehrenstein, „Die weisse Zeit“ bei Georg Müller, 
München und „Der Mensch schreit“ bei Kurt Wolff, Leipzig), den ich vorhebe, 
lobt den Krieg nicht. Der Kriegsgott sagt bei ihm: „Aber aufreckend das 
wildbewachsene Tierhaupt, den Menschen feind, zerschmettre ich, zerkrachend 
schwaches Kinn und Nase, Kirchtürme abdrehend vor Wut, Eure Erde. — 
Rot umblüht Euer Blut meinen Schlächterarm, wie freut mich der Anblick!— 
Bleibt noch ein Rest nach Ruhr und Pest? Aufheult in mir die Lust Euch 
gänzlich zu beenden!“ Einmal sagt der Waldesalte: „Es hat die Seele keinen 
Bosporus noch Vogesen.“ Das Gedicht endet: „Seine Haare starrten, eisweisse 
Mastbäume, und spiessten, umblutete Spiesse, die nachtgeschlagenen Heere. 
Kläglich blökten Kanonen.“ Der Geist, aus dem diese Gefühlswerte stammen, 
das Auge, das diesen Blick wirft, ist uns bekannt. Hier wirft sich eine sehr schwere 
und sehr beschwerende Seele und greift nach sich selbst. Ein ganz wilder 
Grimm, ein ganz verzweifelter Hass wird gegen die Schönheit, das Weib, 
die Erde geschleudert, bisweilen tollwütig, aber diese Raserei zerfetzt nicht 
die Form. Es kommt zu Ausbrüchen, die für unsere Literatur unerhört sind. 
„ Ich vergass mich zu hüten vor dem Giftschleim der lasterzähnigen Äffin, 
vor dem wahllosen Schlund der unreinen Seekatze.“ „Fern schwingt sich ihre 
Brunst im Tanz mit einem zahlenden Hengst. — Möge ein Nashorn Euch
	        
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