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als Befreier bejubelt hätte. Das waren also die „Rebellen“, die Gottes Tage
mit Kritik entgegennehmen. Aber die anderen, ungezählten vielen, die im
Dasein keinen anderen Sinn sehen, als das Dasein selbst, einfache Menschen
in Dörfern, kleinen Städtchen, Friedliche, die an ihrem alten Dasein klebten
und alles auf einmal verlieren sollten? Eine ungeheure ungeahnte Wirklichkeit
trat an sie heran und forderte Platz in ihrem Bewustsein. Söhne marschierten
in endlosen Kolonnen vorbei, der Boden wurde aufgewühlt, die Luft und die
Erde bekam eine andere Bestimmung, als den Menschen zu tragen und ihn
zu erhalten. Bald kamen viele Wagen Verwundeter zurück, lange Reihen zer
schossener Pferde mit traurigem, unwissendem Blick zogen vorbei, ewiges
Knallen und Donnern bald näher, bald ferner, — und sie selbst mussten bald
flüchten, bald arme Flüchtlinge wie sie selbst, beherbergen.
So vergingen Jahre. Der alte Mann, der im granatensichern Keller Gebete
sprach, ist schon längst gestorben, aus Gram und Sehnsucht nach seinen
Kindern; das kleine, auf der Flucht verlorene Kind ist gross geworden und
nennt die fremden Männer „Vater“; das Mädchen hat den Bräutigam ver
gessen — die Menschen haben den grausam potenzierten, lebensverkürzenden
Alltag irgendwie assimiliert. In ferner, unerreichbarer Erinnerung stehen wir;
wie sie uns, so sind wir ihnen fremd geworden, wie das Rauschen eines
tropischen Waldes. Wir sind für sie die Glücklichen, wir können uns frei bewegen,
wir brauchen nicht stündlich das nackte Leben zu verteidigen, wir essen
irgendwie, wir schlafen in unseren Betten, wir werden zu keiner Arbeit gezwungen.
So denken sie von uns, den Fernen, Geliebten, und unser Bild verdichtet sich
für sie zu der Bürgschaft einer besseren Zukunft. Einmal wird der Krieg zu
Ende sein, denken sie, und dann werden wir sie in ein neues Leben tragen,
das neue Leben, das wir — während sie litten — aus unserer Überzeugung
auferbaut haben. Jetzt wissen sie, wie herrlich das Wort Freiheit ist, wie
köstlich Nicht-Krieg, wieviel wir erreichen können. Sie werden Humus für die
Zukunft seiif, aber die Zukunft selbst müsse umso strahlender werden. So lange
im Fegefeuer, — einmal werden wir ihnen die Pforten zum Paradiese öffnen.
Das denken sie. Denken auch wir daran? wissen wir, dass wir, die nicht vom
„Krieg direkt Betroffenen“ viel grössere Aufgaben noch haben, als einen
gelungenen Bajonettangriff, weit stärkere Pflichten, als durchzuhalten...
1 Trida Cfcßafc
Q5emain,
des Henri Guilbeaux mutig unkriegerische Zeitschrift (die im Format und
Aussenbild Herzogs „Forum“ nachahmt) ist nach mehrmonatlicher Unter
brechung wieder erschienen. Das ist zu begrüssen. Man mus eine Zeitschrift
unterstützen, die den Stimmen rechtlich gesinnter, nichtgouvernementaler
Kriegsgegner aller Länder Resonnanz schafft; gerade wenn diese Resonnanz
nicht gross ist wie beim Demain (das nach Frankreich und Italien leider
nicht gelangen kann). Guilbeaux hat die Zwischenzeit gewiss benutzt um