auch von einigen privaten Beobachtungen, die nicht in die Zeitungen
gelangen, will ich Euch erzählen. Nicht der Reihenfolge nach, sondern
das Nächstliegende und für uns Wichtigste. Das ist vor allem die Be
freiung unserer in den letzten Jahren zum Dienst in Arrestantenkompa
nien oder zum Zuchthaus verurteilten Gesinnungsgenossen, die jetzt zu
gleich mit den „Politischen“ befreit worden sind. Noch sind nicht alle
frei. Die Verzögerung liegt aber nur an einer rein technischen Umständ
lichkeit. Es gelang nicht auf einmal. Denn die Unsrigen waren als „Kri
minalverbrecher“ registriert, es galt also erst Erklärungen abzugeben.
Hie und da wurden sie auch ohne weitere Formalitäten befreit, nachdem
man festgestellt hatte, daß sie aus „religiösen“ Gründen verurteilt worden
sind. Immerhin sind noch nicht alle entlassen und noch nicht überall.
Seit dem 2. März ist die Sache aber in Gang gebracht. Zuerst befreite
man zwölf Personen aus dem Zuchthaus „Butyrka“. Unter ihnen befand
sich unsere liebe Olga Wassiljewna Sawaljewskaja. Sie war zu zwei Jahren
Festung verurteilt worden, ohne Anrechnung der neun Monate Unter
suchungshaft, weil sie sich nach der Verhaftung unserer Freunde D. P.
Makowitzky und Bulgakow in Jaßnaja Poljana (wegen eines noch im Herbst
1914 verfaßten Aufrufs) persönlich an die Gendarmerie in Tula ge
wandt hatte. Den Aufruf hatte sie zwar nicht unterzeichnet, ihre Zu
stimmung aber gesondert ausgedrückt; man unternahm eine Haussuchung
bei ihr und fand drei Exemplare der im Verlag „Erneuerung“ erschiene
nen Broschüre Tolstojs „Christentum und Patriotismus“. Das Resultat
war — jenes Urteil des Gerichtshofs (in Tula), der immer bedeutend
strengere Urteile fällt, als unsere Kreismilitärgerichte. Der „Gerichtshof“
ist ein Überbleibsel des alten Regimes aus der Zeit vor den Reformen
und war von Schtscheglowitow besonders für die politischen Prozesse wieder
hergestellt worden, er ist eigentlich eine ungesetzliche Institution,
welche die gesetzlichen Geschworenengerichte ersetzt. Und die Richter
(drei für jede Session) gehörten zu den eingefleischtesten und wildesten
Bürokraten, die so stumpf und grausam sind, daß gegen sie gehalten sogar
Staatsanwälte der Kreismilitärgerichte als sanfte Lämmer und ritterliche
Ehrenmänner gelten können.
Diese unsere Olga Wassiljewna also, — ein Mädchen von achtund
zwanzig bis dreißig Jahren (sie sieht aber älter aus, eingetrocknet, gelb
lich, schwach), ist ein Typus, der nicht mehr vereinzelt vorkommt, die
Wiedergeburt der urchristlichen Märtyrerin, von wunderbarer seelischer
Schönheit, — sanft, selbstlos, unbeirrbar, bescheiden und unendlich rüh-
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