Volltext: Zeit-Echo (3(1917), 1. und 2. Juliheft)

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Sammlung. Was also tun? Schon haben achtzig Prozent der Treptower 
Friedensrufer die Order erhalten, einzurücken. Ihr muß man folgen; 
denn Gesetz geht vor Recht. Also was tun? Die Hundertzehn im 
Reichstage haben zwar in der heutigen Vormittagssitzung die Verant 
wortung für das Morden der nächsten Wochen dem Reichskanzler und 
den bürgerlichen Parteien zugeschoben. Doch die Flinte wird dennoch 
schießen, und nichts, nichts kann dem blühenden Jungen, der vielleicht 
schon morgen nacht auf dem Schlachtfelde verröchelt, das Leben zu 
rückgeben. Er war ein tüchtiger Parteigenosse, der Todgeweihte, er hat 
für das allgemeine, gleiche, direkte und geheime Wahlrecht Hunderte 
Protestversammlungen mitgemacht. Irgendwo in einem Winkel seines 
durchschossenen Proletarierschädels wird vielleicht noch die Erinnerung 
an die letzte Resolution für den Weltfrieden nisten, wenn schon das 
Massengrab sich öffnet, den sozialdemokratisch organisierten Krieger auf 
zunehmen. Er wird fallen wie Tausende seiner Genossen: den Fluch 
gegen den Krieg auf den Lippen, das Gewehr schußbereit . . . Partei 
freunde werden vorwärtsstürmen, über ihn hinweg, vorwärts gegen die 
Proletarier, mit denen sie sich so oft „verbrüderten“ . . . Kann man 
heute, da der Krieg nun einmal Tatsache geworden ist, den Gang der 
Ereignisse noch bestimmen? Heute leben wir in einem Ausnahmezu 
stand. Heute läßt sich nicht nachholen, was etwa gestern, was etwa 
jahrzehntelang versäumt worden ist. Der Krieg ist da. Man schießt — 
und wird erschossen . . . 
. . . Aber der Krieg ist ja noch nicht da. Wohl kann er morgen 
über Deutschland hereinbrechen; aber er ist ja noch nicht da. Heute 
kann man gegen die Geisel der Menschheit noch alles tun, was man 
vielleicht morgen, vielleicht in einem halben Jahr nicht mehr tun kann. 
Aber tut man das? Sind wir heute dank der deutschen Sozialdemo 
kratie um eine einzige Kriegsmöglichkeit ärmer? Wohlverstanden: die 
Frage lautet nicht: was wird geschehen, wenn morgen ein Krieg uns 
überfällt? Auf diese Frage kann, in Preußen, nur ein Narr Antwort 
erwarten. Aber: ist alles geschehen, damit kein Krieg uns überfallen 
kann? Was hat die Arbeiterpartei getan, um den Kriegsgefahren wirk 
sam zu begegnen? Was tat das liberale Bürgertum? Die Antwort lautet 
trostlos und verzweifelt: nichts. 
tflacfiscfirift des ZeiU&cfio: 
Alle, die noch Menschen sind, und bei denen also der Krieg noch nicht 
außer Mode ist, wissen, daß dieses Zwischenreich der Gewalt seit dem August
	        
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